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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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ihre Eskorten nicht sehen und hören?« Es war absurd, dass ausgerechnet er Rasputin über die unsterbliche Welt ausfragen musste, doch die Situation war neu für ihn.
    »Sei kein Dummkopf. Du bist nicht im Land der verlorenen Seelen. Du bist auch nicht tot. Ich erscheine dir als Geist.«
    »Aber ich kann sehen …« Calder war unsicher, wie er es beschreiben sollte. »Ich kann durch alles hindurchblicken. Sehen die verlorenen Seelen die Welt etwa nicht so?«
    »Kannst du das? Interessant.« Rasputin zuckte mit den Schultern. »Es ist nur am Anfang so. Versuch, dich auf einen Gegenstand zu konzentrieren.«
    Calder starrte dorthin, wo sich die Bodendielen befinden sollten. Die Farbe kehrte in das Holz zurück, es sah wieder fest aus. Als er sich nun in dem Raum umsah, wirkte alles wieder normal, bis er durch ein Möbelstück hindurchblicken wollte. Sofort löste sich alles wie eine Luftspiegelung auf. »Wie seltsam«, flüsterte er.
    Rasputin strich sich über den Bart. »Weißt du, was noch viel seltsamer ist? Ich wette, du fühlst dich, als hättest du nur zwei Stunden geschlafen und nicht zwei Tage.«
    Das wären willkommene Neuigkeiten für Calder gewesen, wenn er es geglaubt hätte. Er wollte, dass Rasputin zustimmte, sofort mit ihm zurückzukehren. Doch ihm war klar, dass der Geistliche entweder scherzte oder falschlag. Er wusste, dass er nur kurz geschlafen hatte – der Mond hatte sich kaum bewegt. Es war immer noch tiefe Nacht.
    Dann tat Rasputin etwas Unerwartetes – er glitt in Marias Zimmer. Calder beobachtete die Stelle, bis sie verschwand, und kurz darauf sah er den Mann am Fuß des Bettes seiner Tochter sitzen. Erschrocken stellte er fest, dass auch Maria durchsichtig war. Ihre Schädelknochen waren sichtbar, die Adern, selbst die Augäpfel, die unter den Lidern im Traum hin und her zuckten. Doch sobald er sich auf ihre Stirn konzentrierte, wurde Maria wieder sie selbst: mit Haut, Wimpern, das dichte schwarze Haar auf dem Kissen ausgebreitet.
    »Wenn sie aufwachte«, flüsterte Calder, »würde sie dich sehen? Oder erscheinst du nur mir?«
    »Manchmal können wir uns sichtbar machen«, antwortete Rasputin. »Doch es kostet viel Kraft.« Er stand auf, beugte sich über seine Tochter und küsste sie leicht auf die Nase.
    »Es sind also zwei Nächte vergangen?«, fragte Calder. »Dann ist es an der Zeit, dass du mit mir in den Himmel zurückkehrst.« Er entschied sich für die Wahrheit. »Ich wollte hier einen Lehrling auswählen, doch ich habe einen Fehler gemacht. Der Geist, den ich mitnehmen wollte, war nicht für mich bestimmt.«
    Rasputin hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, als ob er auf etwas in einiger Entfernung lauschte.
    »Ich kann nicht ohne dich zurückkehren«, bekannte Calder.
    »Warte«, sagte Rasputin. Er hielt inne, als ob er jemandem zuhörte. »Du musst etwas wiedergutmachen, um die Welten ins Gleichgewicht zu bringen.«
    »Mit wem hast du gerade gesprochen?«, fragte Calder.
    »Mit deinesgleichen.« Rasputin zuckte mit den Schultern.
    »Ein Begleiter ist gerade hier?« Calder war wie elektrisiert. »Wo?«
    »Sie huschen überall herum, auf der Jagd nach Seelen«, antwortete Rasputin gleichgültig.
    Calder wusste nun, dass Alexandra nicht die Auserwählte war, doch es gab eine offensichtliche Lösung. »Du könntest mein Lehrling sein«, erklärte er Rasputin.
    Der Mann lachte schnaubend. Maria drehte sich im Bett um, wachte jedoch nicht auf, als die Seele ihres Vaters durch die Wand zurückglitt.
    »Du willst, dass ich das tue, was du tust?«, fragte Rasputin. »Neben irgendwelchen Leichen warten und ihnen überallhin nachgehen? Ich glaube nicht.«
    »Ich würde lieber als Gefangener hierbleiben, als jemandem den Schlüssel aufzuzwingen«, sagte Calder.
    »Je länger du wartest«, sagte Rasputin mit schiefgelegtem Kopf, »desto mehr werden die Welten leiden.«
    Calder zuckte bei dieser Vorstellung zusammen. »Die Welt der Lebenden leidet wegen mir?«
    »Genau wie das Land der verlorenen Seelen«, fügte Rasputin hinzu. »Der Himmel auch, sagen sie.«
    »Wie?«, fragte Calder, der unter dem Gewicht seiner Schuld erbebte.
    Rasputin verzog abwertend das Gesicht. »Lächerlich«, sagte er. »Sie behaupten, ich verbreite Unruhe zwischen den Seelen hier.«
    Calder hatte von der Gefahr aus der Fassung gebrachter Seelen gehört. »Ich werde einen Lehrling überzeugen, meinen Schlüssel anzunehmen«, erklärte er Rasputin. »Ich verspreche es. Aber bitte frag nach, welche Kinder

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