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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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eingerichtet, erschien aber dennoch nicht als geeigneter Ort, um eine Kaiserin zu treffen.
    »Wessen Haus ist dies?«, fragte Calder den Fahrer, als er seinen Mantel ablegte.
    Jemand anders antwortete. »Ihr wart schon viele Male hier.« Der junge Mann, gutaussehend und in eine tiefrote Seidenrobe gekleidet, stand auf einer Treppe. Der Fahrer hängte Calders Mantel über einen Stuhl und zog sich zurück. Der junge Mann lächelte. »Wie geht es Euch, mein Freund?«
    »Danke, gut«, antwortete Calder. »Sagen Sie mir noch einmal Ihren Namen.«
    »Seid Ihr betrunken?«, spottete der junge Mann. »Ihr wisst, dass ich Felix heiße. Und das hier ist Dimitri.« Ein zweiter junger Mann kam hinter dem ersten die Treppen herunter und grinste Calder an. Er war fast genauso attraktiv und trug eine blaue Robe.
    »Machen wir es uns gemütlich.« Felix schenkte blutroten Wein in ein Glas und reichte es Calder. »Trinkt.«
    Der Seelenhüter wollte nichts trinken, doch er musste sich wie Rasputin verhalten. Also nahm er einen großen Schluck und gab Felix das Glas zurück.
    »Mehr?«, fragte Dimitri.
    »Vielen Dank, nein.«
    Die Männer beobachteten Calder lächelnd, schienen auf etwas zu warten. Rasputin war ohne Zweifel ein guter Geschichtenerzähler. Die Vorstellung, die beiden länger als ein paar Minuten unterhalten zu müssen, machte ihn nervös.
    »Wo ist die Kaiserin?«, fragte Calder schließlich. Er fürchtete sich, sie zu bitten, sein Lehrling zu werden, doch welche Wahl hatte er? Die Welten waren in Aufruhr.
    Die beiden wechselten einen wissenden Blick. »Ihr meint die Prinzessin?«, fragte Dimitri.
    Calder dachte, er hätte sich verhört. »Sagten Sie gerade ›Prinzessin‹?«
    »Geht es Euch nicht gut?«, fragte Felix.
    »Doch«, erwiderte Calder. Sein Gesicht fühlte sich warm an, und seine Arme prickelten, sogar seine Zehen. Er atmete ein paar Mal tief ein, und die seltsame Empfindung verklang.
    »Seid Ihr müde, Vater?«, fragte Felix. »Ruht Euch aus, macht es Euch bequem.«
    »Nehmt etwas Gebäck«, sagte Dimitri und reichte Calder die Platte.
    »Nein.« Er verspürte eine unbekannte Wärme in seiner Brust, anders als vor ein paar Tagen, als er im Katharinenpalast Tee getrunken hatte. »Kein Essen, danke.«
    »Das sind Eure Lieblingstörtchen«, bemerkte Felix.
    »Ihr müsst sie wenigstens probieren«, sagte Dimitri. »Das wäre nur höflich.«
    Rasputins Rolle zu spielen wurde langsam ermüdend, aber Calder wollte keinen Verdacht erregen. »Wie viele esse ich normalerweise davon?«
    Die jungen Männer lachten.
    »Zwei«, antwortete Felix. »Mindestens.«
    Calder nahm zwei der kleinen, ovalen, knusprigen Kuchen, die mit einer dickflüssigen Creme gefüllt und mit Puderzucker bestäubt waren. Er hatte den Eindruck, dass etwas zu essen seinen gestohlenen Körper weder nährte noch in Aufruhr versetzte, weshalb er keine Gefahr darin sah. Leidenschaftslos verzehrte er die beiden Kuchen, die zuerst süß und dann leicht bitter schmeckten. Seine Gastgeber ließen ihn nicht aus den Augen und warfen sich ab und zu einen Blick zu. Calder strich sich den Puderzucker aus dem Bart und wischte sich die Hände an den Hosen ab, da sie ihm keine Serviette angeboten hatten.
    »Wie geht es Euch, mein Freund?«, fragte Felix.
    Oder Dimitri. Calder war sich nicht sicher. Sein Blick hatte sich verschleiert, er wurde schläfrig. Die beiden Gastgeber verschmolzen zu einer Person, eine Seele, die in zwei Körpern umherwandelte.
    »Ungeduldig«, sagte er und versuchte, ihnen mit den Augen zu folgen, während sie auf und ab gingen. »Wann kommt sie?«
    »Prinzessin Irina wird in ein paar Minuten hier sein«, sagte eine Stimme.
    »Sie fühlt sich sehr geschmeichelt, dass Ihr sie empfangen wollt«, sagte die andere.
    Calder schloss die Augen – er wollte fragen, wer Prinzessin Irina war, doch er musste für einen Moment ruhen. Er stützte den Kopf in die Hände, atmete tief ein und aus. Gerade als er sich besser fühlte und eine Bemerkung zu der weichen Couch machen wollte, erkannte er, dass er auf dem Teppich lag und drei Stimmen dicht über ihm hörte. Felix, Dimitri und die des Fahrers. Sie klangen besorgt, aber auf seltsame Weise unbeteiligt.
    »Wie kann er noch am Leben sein?«, fragte der Fahrer. »Hat er den Wein getrunken?«
    »Ein ganzes Glas«, antwortete Dimitri. »Wie viel hast du beigemischt?«
    »Und er hat zwei Kuchen gegessen«, fügte Felix hinzu.
    »Einer davon hätte zehn Männer umgebracht.«
    Calder öffnete die Augen.

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