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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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schmerzte.
    »Dann wären wir Heilige«, bemerkte der Junge.
    »Willst du nicht zu Mutter und Vater?«, fragte sie ihn und brachte ihn damit zum Schweigen. »Wir werden bald sicher im Himmel sein.«
    »Wie bekommen wir den Schlüssel zurück?«, flüsterte Calder.
    »In der Stadt«, antwortete Ana. »Ich zeige es dir.«
    Ein weiterer Schrei, näher als eben, schreckte sie auf.
    »Kommt.« Calder half den Kindern auf und bedeutete ihnen, ihm zu folgen.
    Sie bewegten sich so leise wie möglich von den Lastwagen weg, wobei sich Ana und Alexis an den Händen hielten. Mit der anderen Hand hatte Ana Calders Mantel gerafft, der sonst auf dem Boden geschleift wäre. Calder führte sie durch den Lärchenwald eine Anhöhe hinauf.
    »Will Ilja dich irgendwo treffen?«, flüsterte Calder.
    »Du hast Ilja den Schlüssel gegeben?«, fragte Alexis.
    Sie waren allein, doch Calder hatte das Gefühl, dass das Gebüsch um ihn herum Augen und Ohren hatte. Während er sie zu einer Lichtung führte, hörte er einen Fluss. Wenn sie diesem folgten, überlegte er, dann würden sie irgendwann die kleine Brücke an der Straße erreichen, über die er aus der Stadt gelangt war. Calder meinte, wiederholt Vogelschatten ihren Weg kreuzen zu sehen, doch er sah nie, wo sie landeten, oder hörte ihre Rufe. Er ging vor Alexis und Ana, deren Hals weiß und zart aus dem übergroßen Mantel ragte.
    Alexis hatte den Kopf gesenkt. »Warum hast du den Schlüssel Ilja geben müssen?«
    Im selben Moment sah und hörte Calder die Männer, wie sie Blätter und Zweige unter ihren Stiefeln zertraten. Ein kurzer Blick auf eine feuchte Männerstirn, das Aufblitzen eines Schaufelblatts. Es waren zwei, nur etwa ein Dutzend Schritte von ihnen entfernt. Calder wirbelte herum und drückte die Kinder eng an seine Brust, den Rücken den Männern zugewandt. Die Geschwister waren totenstill. Er schirmte sie ab, während sie sich zitternd an ihn drängten.

16.
    C alder hielt den Atem an, ebenso wie Ana und Alexis, als sie auf die Soldaten lauschten, die durch die Blätter unter ihnen stapften. Einer hustete und keuchte beim Marschieren, der andere seufzte, während er mit der Schaufel auf den Büschen herumschlug.
    »Vielleicht haben die Hunde sie geholt«, sagte einer.
    »Hunde? Sei kein Dummkopf.«
    »Oder Wölfe.«
    Weiter oben am Abhang, über ihrem Versteck, wurden weitere Schritte laut, Menschen kämpften sich durch Büsche und Sträucher, offenbar von ihren Verfolgern umzingelt. Calder zwang die Männer, sie nicht zu sehen, während Ana ihr Gesicht an seiner Schulter barg. Er versuchte, sich eine Wand um sie vorzustellen und sie so unsichtbar zu machen wie damals, kurz bevor er in einen menschlichen Körper geschlüpft war. Er stellte sich vor, wie die Männer seine weiße Tunika sahen und ihre Haut, sein schwarzes Haar und den Mantel, den Ana um sich geschlungen hatte, wie zwei Stellen eines knorrigen, verfärbten Baumstammes. Die drei standen so ruhig da wie die sie umgebenden Bäume.
    Eine der Wachen sagte seufzend: »Ich gehe zurück.«
    Die Stimme ertönte so nah bei ihnen, dass Alexis zusammenzuckte. Als Ana schauderte, legte Calder ihr beruhigend das Kinn auf den Kopf. Die Schritte entfernten sich Richtung Osten. Calder wartete, bis die Stimmen und das Geraschel ganz verklungen waren, und gab dann langsam die beiden Kinder frei. Ana sah dankbar und immer noch voller Angst zu ihm auf, der Junge dagegen schüttelte sich, als wäre es ihm peinlich, beschützt zu werden. Calder führte sie westwärts, in der Hoffnung, sie würden die Straße finden.
    »Ich weiß, dass Ilja den Schlüssel hat«, sagte Ana. »Und ich habe die Kette um seinen Hals gesehen.«
    Die Vorstellung jagte Calder immer noch Angst ein – Ilja könnte ihn weggegeben, verloren oder in einen Brunnen geworfen haben.
    Alexis schien zum ersten Mal zu bemerken, dass er immer noch die Schiene aus seinem früheren Leben am Bein trug. Die anderen beiden warteten, während er sich auf einen umgestürzten Baum setzte und die Bandagen wütend abwickelte, die Schiene abschüttelte und alles auf dem Laub liegen ließ. Calder wollte vermeiden, dass man die Schiene fand, und klemmte sie sich daher unter den Arm.
    Schließlich stießen sie auf die Straße, ohne noch etwas von den Soldaten gehört oder gesehen zu haben. Sie setzten ihren Weg Richtung Stadt fort. Die Sonne war beinahe aufgegangen, und Calder entschied, es wäre sicherer für Alexis und Ana, nicht gesehen zu werden. Nicht nur, weil jemand sie

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