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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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einen Scherz lachten. Da er den Wachmann am Tor nicht wiedererkannte, ging er lächelnd auf ihn zu und fragte: »Kennst du Ilja?«
    Stirnrunzelnd antwortete der Soldat: »Warum?«
    »Er ist mein Neffe. Sein Großvater liegt im Sterben.«
    »Er arbeitet nicht mehr hier«, beschied ihn der Mann.
    Calder trat einen Schritt zurück. »Ich danke dir.«
    Doch sobald sich der Mann für eine Zigarette zu seinen Kumpanen gesellt hatte, schlich sich Calder durch das Tor zur offenen Haustür. Er hörte gedämpfte Stimmen, die vom Stockwerk darunter zu kommen schienen, weshalb er in den Flur huschte und zu der kleinen Toilette ging, die er nach Anas Beschreibung leicht fand. Unter dem Spülkasten tastete Calder hinter dem Rohr an der Wand entlang und fand ein kleines Loch, genau wie sie es ihm gesagt hatte. Doch es war leer. Ilja – oder jemand anders – hatte den Brief gefunden, in dem Ana den Schlüssel versteckt hatte.
    Sie sahen Calder, als er auf den Hof hinausging, doch niemand schoss auf ihn. Einer rief ihm eine Frage zu, doch als er zum Abschied winkte, lachten die Wachen nur, als ob sie sowieso beschäftigungslos wären.
    »Er hat keinen Grund, dort zu bleiben, ohne unsere Familie, die er beschützen soll«, sagte Ana, als Calder ihnen von seinen Erkenntnissen erzählte.
    »Du lässt ihn wie einen Engel aussehen«, sagte Alexis.
    »Er lebt gegenüber der Kirche in der Tolmacheva-Straße«, sagte Ana. »In dem Haus mit dem geschnitzten Vogel in der Tür.«
    Wie Calder gehofft hatte, erkannte sie niemand, als sie durch die Stadt gingen. Ana bewegte sich etwas steif und hielt ihren Bruder an der Hand. Das leere Brillengestell ließ ihr Gesicht klein und verloren wirken. Sie fanden das Haus leicht, genau an der Stelle, die Ilja Ana beschrieben hatte, und mit der kleinen Besonderheit, die es von den übrigen Häusern unterschied – dem in die Mitte der Tür geschnitzten Zaunkönig. Ana und Alexis versteckten sich, nachdem Calder ihnen erklärt hatte, er wolle zuerst herausfinden, wo sich Ilja aufhalte, um ihn dann heimlich zu Ana zu bringen.
    Der Seelenhüter versuchte, die Vordertreppe selbstbewusst hinaufzusteigen, doch er war voller düsterer Vorahnungen. Seine Knie waren zittrig, bereit, jeden Moment einzuknicken. Er wünschte sich so sehr, dass er den jungen Mann mit Bedauern auf dem Gesicht und einem Schlüssel um den Hals vorfand. Doch seine Hand bebte, als er an die Tür klopfte. Obwohl es früh am Morgen war, wurde beinahe sofort geöffnet.
    Eine Frau starrte böse zu ihm hinauf, das weiße Haar von einem schwarzen Schal niedergedrückt. »Wer sind Sie?«, fragte sie mürrisch. »Und für wen arbeiten Sie?«
    »Niemand auf Erden«, antwortete Calder.
    »Was wollen Sie?« Die Frau war so winzig, dass ihr angriffslustig hervorgestrecktes Kinn gerade mal auf Höhe seines Gürtels war.
    »Wohnt hier Ilja Bogrow?«
    »Warum?«
    »Er bewahrt etwas für mich auf.« Calder dachte, die Erwähnung des Schlüssels könnte zu viele Fragen aufwerfen. »Ist er hier?«
    »Nein.«
    »Vielleicht hat er eine Nachricht hinterlassen für …« Calder konnte unmöglich Anas Namen nennen. »Für einen von unseren Freunden.«
    Sie lachte auf. »Freunde? Ich habe Sie noch nie gesehen.«
    »Er war nicht bei der Arbeit.«
    »Er ist fertig mit diesem Haus.«
    Calder konnte ihr die Dringlichkeit seines Anliegens nicht erklären, daher fragte er nur flehend: »Bitte, wo kann ich ihn finden?«
    »Er ist weg«, sagte sie und wollte die Tür schließen.
    »Wo ist er?«
    »Für immer gegangen.« Die Tür schloss sich.
    Die Frau würde ihm keine weiteren Antworten geben, da war Calder sich sicher, doch im nächsten Moment war Ana an ihm vorbeigestürzt und hatte die Tür ohne anzuklopfen aufgestoßen. Iljas Mutter – oder vielleicht auch seine Großmutter – schrie protestierend auf, doch das Mädchen schob sie einfach beiseite und suchte alle Räume des kleinen Hauses ab. Die alte Frau überschüttete Calder mit derben Flüchen und trommelte mit harten, kleinen Fäusten auf ihn ein. Er befahl Ana aufzuhören, aber sie ignorierte ihn.
    Alexis kam nun ebenfalls ins Haus, doch Ana hatte bereits das kleine Wohnzimmer und die Küche durchsucht, als Calder und ihr Bruder sie im ersten Stock einholten. Sie hatte einen alten Mann aufgescheucht, der sich in einem Schlafzimmer ankleidete, die Tür eines Schranks aufgerissen und war dann in die letzte Kammer gestürzt – ein winziges Schlafzimmer mit zwei schmalen Betten, die nur eine Armlänge

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