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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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kopfüber als Brücke in den Schlamm gestellt.
    Als sie an einer schwangeren Frau vorbeikamen, die auf einem kaputten Bettgestell schlief, bildete sich schwarzer Nebel über ihr, und sie wachte schlagartig auf, als die Federn zu hüpfen begannen. Calder hielt erschrocken inne, da er fürchtete, dass sein Verfolger eine Unschuldige angreifen würde. Doch die dunkle Wolke verharrte nicht bei der Frau, sondern wälzte sich die Wand entlang und folgte ihnen. Calder hielt sich zwischen dem diffusen Schatten und den Kindern, aber das dunkle Etwas verschwand und erschien einige Meter entfernt wieder, mal als grauer Nebel, mal als normaler Schatten, den eine Katze oder eine Mülltonne warf.
    Sie bewegten sich nun im Geschäftsviertel, wo jede Wand mit Werbung beklebt war. Die kleinen Geschäfte befanden sich entweder auf Veranden oder im Souterrain. Zuerst nahm David einen der Smaragde und bedeutete Calder und den Kindern, auf der Straße zu warten, während er fünf Stufen hinauf zu einem kleinen Laden mit Schmuck und Uhren im Schaufenster stieg. Dann führte er sie in die nächste Straße, wo sie wieder warteten, während er in einem Mietshaus verschwand. Nach wenigen Minuten kehrte er mit drei Pässen zurück.
    »Wenn ihr wirklich in Schwierigkeiten geratet, werden sie wohl nichts nützen«, sagte David. »Aber ihr könnt damit aufs Schiff und nach England einreisen.«
    Vorübergehend wurden die drei zu Mary (fünfzehn), John (zwölf) und William Smart (fünfunddreißig) aus Portland, Maine. Jedes Dokument bestand aus einem Stück Pergament und wirkte offiziell, auch wenn Calder noch nie einen echten Pass gesehen hatte.
    Zu seiner Überraschung gab ihnen David einige Dollars zurück. Er bot dem jungen Amerikaner etwas davon an, doch der lehnte ab. Da sie kein Gepäck und somit auch keine Kleider zum Wechseln hatten, brachte David sie in einen überfüllten Laden, in dem man einfache, billige Kleider kaufen konnte. Sie erwarben ein Hemd und eine Hose für Alexis sowie eine beinahe dazu passende Weste. Ana erstand eine Bluse und einen Rock, behielt jedoch das braune Kleid, das Calder ihr in Jekaterinburg gekauft hatte. Alexis war nicht so sentimental und wollte seine alten Sachen schon in den Müll werfen, als David sagte, er wisse jemand, der sie brauchen könne. Außerdem kauften sie zwei zerbeulte Koffer, um keinen Verdacht zu erregen, wenn sie ohne Gepäck an Bord des Schiffes gingen.
    Calder suchte die Umgebung nach der bedrohlichen Dunkelheit ab, aber als sie am Hafen ankamen, schien sie endgültig verschwunden zu sein. Er kaufte drei Tickets für eine Schiffspassage nach Portsmouth und hatte immer noch zehn amerikanische Dollar übrig, die er in britische Pfund umtauschen konnte. Außerdem besaßen sie noch zwei Smaragde.
    Er versuchte erneut, David einen Silberdollar zu geben.
    »Für Max«, sagte er, doch David schüttelte den Kopf.
    »Das ist meine Heimat«, antwortete er. »Ich kann hier überall essen und schlafen. Ich habe hier viele Freunde.« Er wartete, bis sie an Bord gingen, winkte mit seinem Buch und rief Alexis zu: »Es lebe die Anarchie!«
    * * *
    Sie standen an Deck, als das Schiff aus dem Hafen auslief. Anas kurzes Haar lockte sich so bezaubernd um die Krempe ihres Hutes, dass Calder den Blick nicht abwenden konnte.
    Die Schiffshörner der großen und kleinen Schiffe ertönten. Auf einer kleinen Insel im Hafen stand die riesige Statue einer Frau im römischen Stil, die eine Fackel über das Wasser hielt. Die Stadt wurde immer kleiner und verschwamm wie ein zerklüfteter Bergrücken. Diesmal war das Schiff um einiges vornehmer als beim letzten Mal, nur ihre Kabine war genauso klein, und vor dem Bullauge hing ein Vorhang. Angeblich versteckten sich deutsche U-Boote und Kriegsschiffe im Atlantik, weshalb Ozeandampfer nach Einbruch der Dunkelheit verdunkelt fahren mussten.
    Calder und die Kinder gingen am Speisesaal der ersten Klasse vorbei, in dem wohlhabende Männer und Frauen in Abendgarderobe saßen. Die Passagiere des Zwischendecks dagegen saßen mit Decken um die Schultern in Liegestühlen und aßen Äpfel und trockene Brötchen.
    Ana und Calder setzten sich auf die Holzstühle auf dem unteren Deck, während Alexis eine neue Freundschaft schloss. Der alte Mann, mit dem er sich unterhielt, hatte so dünne Haut, dass die Venen durchschimmerten. Vielleicht hatte der Akzent des Jungen seine Aufmerksamkeit erregt, denn er sagte, seine Großeltern mütterlicherseits seien Russen, und brüstete sich mit

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