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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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kannst noch für ein paar Stunden atmen. Morgen wird dann der große Tag sein.
    Schuldgefühle betrübten Calder, als er erkannte, dass er diesen Traum durch unzählige Todestüren in die Welt der Lebenden mitgebracht hatte. Noch schmerzvoller war aber das Mitgefühl, das er für das Kind empfand, das er einst gewesen war. Er bedauerte sein Leiden, war verwundert über seine Fähigkeit zu hoffen und wünschte, er könnte den Jungen von damals trösten. Doch Jahrhunderte trennten den Knaben und den Begleiter.
    Als Calders Sicht zurückkehrte, schloss er die Zeitschrift und legte sie auf die Koje zu Anas Füßen. Sein Herz war zu schwer, um Wache zu halten, weshalb er sich mit dem Gesicht zur Wand aufs Bett legte, jedoch nicht schlief.
    * * *
    Als er am nächsten Tag neben den Kindern an Deck stand, sah Calder einige Meter entfernt ein bekanntes Gesicht aus der Rückseite eines Damenhutes wachsen. Rasputin schob sich durch die Frau und wartete lächelnd, bis der Begleiter zu ihm an die Reling kam.
    »Suchst du immer noch deinen Schlüssel?«, fragte Rasputin. »Es ist wirklich langweilig, dich so weit zu verfolgen. Ich habe Stunden gebraucht!«
    Calder wartete, bis die Frau mit dem Hut die Stufen zum unteren Deck hinabgestiegen war. Er blickte aufs Meer und hoffte, dass es nicht aussah, als spräche er mit sich selbst.
    »Ich dachte, du könntest sofort überall hinfliegen?«
    »Wenn ich weiß, wohin ich will«, antwortete Rasputin, als ob Calder ein Dummkopf wäre.
    Dem Seelenhüter war unwohl dabei, sich dem Russen anzuvertrauen, doch er hatte sie schon einmal gerettet. »Danke, dass du die Verlorenen zurückgehalten hast, damit wir entkommen konnten.«
    »Es wäre kein großer Kampf geworden«, sagte Rasputin grinsend. »Du brauchtest einen kleinen Vorsprung.«
    Calder wusste nicht, ob sein Gegenüber scherzte oder nicht. »Bring mir gute Neuigkeiten«, bat er inständig. »Ich tue, was man von mir verlangt. Ich bringe die beiden Kinder in Sicherheit, aber ich konnte den Seemann nicht zu seinem Begleiter schaffen.«
    »Den Seemann? Wovon sprichst du?«
    »Du hast mir gesagt, dass ich mich an eine verlorene Seele erinnern muss, die ich zu ihren Lebzeiten kannte, und dass ich sie zu ihrer Tür bringen soll.«
    »Wer hat denn etwas von einem Matrosen gesagt?« Rasputin schüttelte mitleidig den Kopf. »Denk nach, Narr.« Er tippte Calder an den Kopf – oder hätte es getan, wenn sein Finger aus Fleisch und Blut gewesen wäre.
    »Soll ich einen Dämon herbeirufen und versuchen, den schwächsten Geist aus ihm herauszulösen?«, fragte Calder.
    Rasputin wirkte einen Moment verängstigt. »Das wäre nicht klug, nein.« Dann kehrte die gewohnte Arroganz zurück. »Es gibt nur eine verlorene Seele, die du in den Himmel bringen kannst. Nur eine, die überhaupt eine Chance hat, zumindest, bis du die Passage wieder betreten hast«, sagte er, als wäre es das Einfachste von der Welt. »Mehr brauchst du nicht zu wissen. Selbst wenn zehntausend Geister vor dir stünden, sofern du diesen einen findest und nach Hause bringst, ist alles wieder im Gleichgewicht.«
    »Wer ist es?«, flehte Calder. »Wo finde ich ihn?«
    Rasputin wollte nach dem Kopf des Seelenhüters greifen, doch seine Hände glitten durch ihn hindurch. »Die Antwort liegt in dir!« Er seufzte. »Versuch dich zu erinnern.«
    Frustriert fragte Calder: »Sind jetzt Begleiter in der Nähe?«
    Der Russe wirkte selbstzufrieden. »Oh, lass mich kurz horchen.« Er legte den Kopf schief. »Sieh an! Sie sagen, die verlorenen Seelen hätten beschlossen, nie wieder die Welt der Lebenden heimzusuchen.« Er lauschte wieder. »Die Verlorenen verehren dich jetzt und werden dir gehorchen!«
    Calder war sprachlos. »Wirklich?«
    Rasputin lachte dröhnend. »Dein Gesicht«, keuchte er. »Du hättest es sehen sollen!«
    Da es unmöglich zu sein schien, Rasputin beliebig heraufzubeschwören, musste er dicht bei ihnen bleiben, doch wenn der Russe derart unzuverlässig war, wollte Calder ihn am liebsten wie einen Dschinn in eine Flasche sperren und ins Meer werfen.
    »Nein, nein«, gab Rasputin zu. »Die Dämonen verehren dich nicht, aber sie hungern nach dir.«
    »Sobald die Kinder in Sicherheit sind, werde ich mich ihnen stellen und sie zerstören.«
    »Wirklich?« Rasputin grinste. »Das werde ich ihnen gleich sagen.« Damit verschwand er so plötzlich, als hätte jemand einen Lichtschalter betätigt.
    * * *
    Calder fand Ana nach seiner Rückkehr auf der anderen Seite des Oberdecks,

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