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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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Mannes geblickt, der von einem Dach gefallen war. Die Seele hatte sich schnell entschieden und war sofort bereit, Calders Hand zu ergreifen. Als er sich danach über seine Angst ärgerte, verstand Liam ihn gut.
Denk nicht an die letzte Tür,
riet er ihm mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.
Öffne einfach die nächste.
    Im Moment seines eigenen Todes hatte sich Calder seinen Begleiter als weiblichen Engel mit goldenem Haar und einem fließenden weißen Gewand vorgestellt, aber wenn eine Seele den Schlüssel annimmt und ein Lehrling wird, sieht er seinen Lehrmeister in seiner ursprünglichen Gestalt. Calder war so überrascht gewesen von der Verwandlung des Engels in einen kräftigen Schotten, dass Liam bei seinem Gesichtsausdruck in schallendes Gelächter ausgebrochen war. Und er lachte immer noch. Calder sah ihn deutlich vor sich – die rauhe Stimme, die vernarbten Hände, der zerschlissene Kilt, der Wollumhang, selbst der abgebrochene Vorderzahn.
Halt die Augen offen,
hatte er gesagt,
und geh selbstbewusst deinen Pflichten nach. Dämonen können Angst riechen.
    »Du bist nicht wirklich hier, oder?«, fragte Calder. »Träume ich?«
    Liam nickte, bevor er verschwand. »Kluges Bürschchen.«
    Als Calder erkannte, dass er schlief, dachte er, dass die Überraschung darüber ihn aufwecken würde. Doch dem war nicht so. Er wusste, dass er in einer Erscheinung gefangen war, weil er die Gleise und hölzernen Querbalken durch den Zugboden vorbeigleiten sah. Der Zug war zu einer riesigen gläsernen Schlange geworden, deren Bauch mit Skeletten und Gepäck angefüllt war. Manche saßen ganz friedlich da, andere gestikulierten und lachten in den unsichtbaren Waggons. Da Calder wusste, wie sich ihm die Dinge in der Gegenwart einer verlorenen Seele offenbarten, sah er sich suchend nach Rasputin oder einer anderen Seele – vielleicht Nagorny – um. Wie schon zuvor vermied er es dabei, Ana und Alexis in ihrer jetzigen Gestalt anzusehen.
    Um den Zug wieder so fest wahrzunehmen, wie er sich anfühlte, starrte Calder auf den Boden, bis dieser sich wieder in dunkles Holz verwandelte. Dann blickte er auf, doch anstatt Rasputins bohrender Augen oder des gramzerfurchten Gesichts Nagornys hatte er ein unbekanntes Wesen vor sich. Trotzdem wusste er sofort, was es war.
    Es hatte die Gestalt eines Mannes, der anschwoll und wieder schrumpfte, als ob er seine Haut durchbrechen wolle. Seine Augen waren schwarz und riesig, wie hundert Bilder oder Fotografien übereinander. Das Gesicht war fleckig, als ob es aus vielen verschiedenfarbigen Lehmstücken geformt wäre, die versengten Haare bestanden aus rauhen und lockigen, feinen grauen Strähnen.
    Calder zuckte zurück, wollte schon wie eine Antilope vor dem Löwen davonrennen, doch dann tat er so, als wäre er Liam. Er stand auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Das Wesen vor ihm formte sich erst noch aus vielen verlorenen Seelen, weshalb der Dämon blinzelte und dampfte, als er zu reden begann. Der erste Satz war unverständliches Kauderwelsch, da alle Wesen in ihm gleichzeitig sprachen. Das war ein gutes Zeichen – wenn es keine Seele als Sprachrohr gewählt hatte, war es leichter zu demontieren.
    Calder machte einen Schritt zur Seite, so dass er zwischen der Kreatur und der Bank stand, auf der Ana und Alexis schliefen. Er erinnerte sich daran, dass Liam und einige andere Begleiter gesagt hatten, man könne einen Dämon besiegen, indem man ihn in viele Geister trenne. Aber er konnte sich nicht mehr an den ersten Schritt erinnern.
    Das Wesen erbebte wie ein großer Bär, der sich das Wasser aus dem Fell schüttelte, und starrte Calder angriffslustig an. »Du bist also der Gefängniswärter.« Die Kreatur sprach Latein, mit schabender Stimme, wie ein Schwert, das an einem Wetzstein entlanggezogen wird. Die Lippen bewegten sich wabernd wie viele Münder, dünn und breit oder dick und gebrochen, die Zungen hinter den Reihen schiefer Zähne schienen nicht dazu zu passen. Calder wusste, dass Latein oft die erste Sprache eines neuen Dämons war, bis der führende Geist die Kontrolle übernahm.
    »Das stimmt nicht«, antwortete Calder, dem gerade noch rechtzeitig einfiel, wie man einen Dämon am schnellsten besiegen konnte. »Wer von euch hat ein Kind verloren?« Er sprach zu dem Wesen, als bestünde es aus vielen Geistern. Die verwundbarsten verlorenen Seelen waren am leichtesten aus dem Dämon zu vertreiben – die Väter und Mütter, die ein Kind verloren

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