Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
Sunas Hände sich inzwischen geschwollen und ein wenig taub anfühlten.
Als sie versuchte, die Handgelenke in die andere Richtung zu drehen, drückte sie dabei Lindas Hand ein Stück zur Seite. Ihre Klientin stöhnte auf vor Schmerz. Sofort hielt Suna inne. Sie sah, dass Christensen sie misstrauisch im Spiegel musterte.
Sie musste noch vorsichtiger sein. Er hatte zwar gesagt, dass er ihr nichts antun würde, aber wenn er sie bei dem Versuch erwischte, sich zu befreien, könnte er seine Meinung durchaus noch einmal ändern.
Trotzdem versuchte sie es weiterhin, allerdings ohne Erfolg. Und je weiter sie sich der Fehmarnsundbrücke näherten, umso verzweifelter wurde sie. Sie hatte keine Ahnung, wie sie das, was Linda bevorstand, jetzt noch verhindern sollte.
Als sie Heiligenhafen erreichten und die Autobahn endete, wusste Suna, dass sie die Brücke in ungefähr einer Viertelstunde erreichen mussten. Fieberhaft überlegte sie, aber ihr kam immer noch keine Idee, wie sie Christensen aufhalten sollte.
Sie versuchte, weiter ihre Fesseln zu lösen, doch außer dass das scharfkantige Plastikband noch weiter in ihre Handgelenke schnitt, erreichte sie nichts. Als ihr eine warme Flüssigkeit die Handfläche hinunter rann, wurde ihr klar, dass sie inzwischen ganz ordentlich bluten musste. Doch in ihrer Verzweiflung machte sie trotzdem weiter.
Plötzlich fuhr Christensen langsamer. Suna blickte nach draußen, aber in der Dunkelheit und aus ihrer Position konnte sie nicht erkennen, ob sie sich schon auf der Brücke befanden oder nicht. Das änderte sich schlagartig, als Suna im Vorbeifahren erkannte, dass die Leitplanken, die bisher beide Seiten der Straße gesäumt hatten, durch eine Betonabgrenzung abgelöst worden waren. Diese trennte die Fahrbahn auf der einen Seite von dem Fußweg und auf der anderen von den Bahngleisen. Und sie begann erst kurz vor der Stelle, an der die Brücke über Wasser führte.
Oh nein, dachte Suna entsetzt. Jetzt ist es zu spät. Hier muss gleich die Stelle sein, an der Saskia gesprungen ist. Um sicherzugehen, dass sie den Sprung nicht überleben würde, hatte sie sich damals die höchste Stelle der Brücke ausgesucht, die sich noch über Land befand: genau dort, wo das Wasser der Ostsee auf Land traf.
Nur wenige Sekunden später riss Christensen das Steuer herum. Der Wagen zog nach links über die gesamte Fahrbahn, schlingerte kurz und blieb direkt an der Betonabgrenzung stehen.
Der Anblick des frischen Blumenstraußes, der mit einem breiten Samtband an eine Sprosse des Brückengeländers gebunden war, versetzte Suna fast einen Schock. Es war also tatsächlich die Stelle, an der Saskia in den Tod gesprungen war. Christensen musste vorher schon hier gewesen sein und alles vorbereitet haben – oder er hatte die Blumen seit Saskias Suizid regelmäßig erneuert.
Christensen stellte den Motor ab. Ohne sich noch einmal nach seinen beiden Geiseln auf dem Rücksitz umzudrehen, stieß er die Fahrertür auf. Mit einem lauten Knirschen krachte sie gegen den Beton, doch er scherte sich nicht darum. Eilig lief er um den Wagen herum und riss die Beifahrertür auf.
Ein entgegenkommendes Auto musste ihm ausweichen. Der Fahrer hupte wütend und machte einen riskanten Schlenker, streifte aber weder Christensen noch die Tür.
»Bitte, bitte zeig uns an«, murmelte Suna fast unhörbar, aber sie wusste, selbst wenn der Autofahrer direkt bei der Polizei anrief und den Vorfall meldete, würde die Hilfe nicht mehr rechtzeitig eintreffen, nicht bei dem Tempo, das Christensen jetzt vorlegte.
Er beugte sich ins Innere des Wagens, fasste Linda grob an den Schultern und zog sie zu sich heran, ohne darauf zu achten, dass er ihr dabei die Arme verdrehte. Linda, die vorher komplett reglos dagelegen hatte, schrie auf vor Schmerz, und auch Suna zuckte zusammen, als ihre Arme plötzlich heftig nach hinten gerissen wurden. Sie biss die Zähne aufeinander und versuchte, ihren Kopf zu drehen, um zu sehen, was Christensen vorhatte.
Dieser grinste bösartig, als er Sunas blutende Handgelenke entdeckte. Er hielt seine Schwägerin mit einem Arm an sich gedrückt, mit der freien Hand packte er Suna am Kinn und drehte es gewaltsam in seine Richtung. Es knackte leicht in Sunas Genick und sie hatte das Gefühl, ihr ohnehin schon pochender Schädel könnte jeden Moment explodieren.
»Unsere Schnüfflerin scheint ja richtig Temperament zu haben«, spottete er. »Na, da kann ich ja froh sein, dass ich die extra stabilen Kabelbinder
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