Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
Stab hat Quartier in so einem ehemaligen Museum bezogen, Eremitage heißt das Ding, vielleicht kennst du’s ja sogar, das liegt an einem riesigen Platz.«
»Ach, ich weiß, mit dieser komischen Säule in der Mitte, stimmt’s?«
»Jawoll, richtig! Jedenfalls, hier hocken wir jetzt, und Gott sei Dank haben wir genug Zeug zum Verheizen. Bilderrahmen und haufenweise olle Möbel, davon gibt es hier so viel wie Läuse auf dem Kopp von meiner Oma. Das reicht bis zum Frühling. Bis dahin hat sich das bestimmt geklärt in der Zentrale.«
»Na, dann mach’s mal gut, Petrowitsch. Wenn was ist, ruf mich an.«
»Jawoll, mach’s auch gut.«
Diese Petrowitsche zernagen und zerfressen methodisch und zielstrebig wie Borkenkäfer die Bäume unserer Wirtschaft. Und was die Katastrophe komplett macht, ist die Tatsache, dass man sie sogar noch ihren eigenen Nachwuchs heranziehen lässt, Gestalten wie diesen Sascha oder Wolodja, die bei uns gerade als Office-Manager arbeiten. Und wenn sie dann irgendwann stark genug geworden sind, müssen wir damit rechnen, dass wir eines schönen Tages zur Arbeit kommen und auf der Stelle zu fünfundzwanzig Jahren Arbeitslager verurteilt werden, von einem sogenannten »Dreier-Standgericht« (Hausmeister, Lagerverwalter und Office-Manager), wegen des Verlustes von zwei Kugelschreibern und eines Textmarkers.
Ein Anruf auf der internen Leitung unterbricht meine Gedanken. SEINE Sekretärin verkündet mit der versteinerten Stimme einer Sphinx:
»Alexej Andrejewitsch bittet Sie, einen Moment zu ihm zu kommen.« Dabei haucht sie den Namen mit fast töchterlicher Zärtlichkeit in die Sprechmuschel.
Ich ziehe mein Jackett an, richte meine Krawatte, greife Stift und Notizbuch – für den Fall, dass er mir urplötzlich die ultimative Methode zur Herstellung des Steines der Weisen mitteilen sollte oder die Lösung für das Fermi-Paradoxon. Ich begebe mich jedenfalls zu IHM.
Alexej Andrejewitsch Kondratow geht es offensichtlich noch mieser als mir. Ein übler Kater und fehlender Schlaf stehen ihm ins Gesicht geschrieben, mit allen Farben der medizinischen Palette gemalt. Er hat verblüffende Ähnlichkeit mit einem Regenbogen. In der kurzen Zeit, die ich mich in seinem Büro aufhalte, changiert seine Gesichtsfarbe zwischen Blasslila und Blaugrau.
Ich grüße ihn und erkundige mich nach seinen Wünschen. Statt einer Antwort deutet er mit einem Nicken in die linke Ecke seines Büros. Dort hockt wie ein Huhn auf der Stange der stellvertretende Finanzdirektor der Filiale auf seinem Stuhl, ein widerlicher, spindeldürrer Franzose namens Alan Garrideau. Ich habe Kondratow immer wieder zu verstehen gegeben, dass wir den ganzen Ärger, die ständigen Überprüfungen und den sonstigen Scheiß, der sich von Paris aus regelmäßig über unsere Köpfe ergießt, nur diesem sauberen Monsieur Garrideau zu verdanken haben. Aber allem Anschein nach hat er sich so gründlich in das Vertrauen der Generaldirektion eingeschleimt, dass man diese
Zecke jetzt nicht mehr so einfach ausräuchern kann. Garrideau und ich führen seit drei Jahren einen nicht erklärten Krieg. Wir fügen einander alle möglichen kleinen Gemeinheiten zu und vergeuden unsere Zeit mit albernen Intrigen und Ränken, statt einfach vernünftig unsere Arbeit zu machen. Begonnen hat dieser Krieg in dem Augenblick, als ich ziemlich deutlich gegen seinen Plan Front bezogen habe, das Budget unserer Vertriebsabteilung zu kürzen und die gesamte Werbung einer französischen Agentur zu übergeben, deren Direktor – welch ein Zufall – ein Busenfreund oder Milchbruder von Garrideau ist. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was für wunderbare Projekte sie sich da mit unserem Budget zusammengemauschelt hätten. Seitdem flammt der Krieg zwischen uns mal mehr, mal weniger virulent auf, weil dieser Scheißkerl die Hoffnung nicht aufgibt, mir doch noch eins auszuwischen, aus Rache für damals.
»Hier, sieh dir mal an, was sich unsere Marketingabteilung Großartiges ausgedacht hat«, sagt Kondratow, und Garrideau hält mir den neuen Plakatentwurf für unsere Maiskonservenwerbung hin. Der Entwurf zeigt einen durch und durch kernigen Macho, der offenbar im Begriff ist, sein unrasiertes Gesicht in einen großen Berg von Mais zu versenken, der vor ihm auf einer gläsernen Tischplatte aufgehäuft ist. Neben dem Berg liegen Münzen und Geldscheine verstreut, und über dem Ganzen prangt der Slogan:
»Unser Zuckermais Tanduelle ist PURES GOLD«.
»Na und?«, frage ich. »Es
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