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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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nehmen, auf Peter den Großen zurückgeht. Die weniger gute russische Tradition, ausländische Hochstapler anzustellen, entstand indes vermutlich in der Zeit des Napoleonischen Krieges von 1812. Damals wurden französische Kriegsgefangene von russischen Adligen als Musik-, Sprach-, Tanz- oder Anstandslehrer beschäftigt. Man dachte sich halt, was so ein Franzose ist, der muss ja wohl Ahnung vom Tanzen und Musizieren haben, und von gutem Benehmen sowieso. In Paris sind doch alle so, oder nicht? Und die armen Kriegsgefangenen entdeckten bei sich ziemlich schnell genau die Qualitäten, die man brauchte, um eine gute Stellung zu bekommen. Damit ließ es sich nicht schlecht leben, sie hatten ein ordentliches Gehalt und besaßen sogar ein gewisses Ansehen, vor allem unter den Adligen in der Provinz.
     
    Im Russland der Nach-Sowjet-Zeit lief es genauso. Der Ärger begann mit großangelegten Unterschlagungen, dann folgte das Gejammer über mangelnde berufliche Kompetenz. Beides zusammen führte manches Unternehmen an den Rand
des Ruins. Aber inzwischen waren schon heimische Kader nachgewachsen, und nach und nach besetzten sogar die Niederlassungen der westlichen Monsterkonzerne ihr Topmanagement mit russischen Mitarbeitern.
    Fest steht jedenfalls, dass einige der zähesten Vertreter jener oben beschriebenen Spezies sich noch immer im Land aufhalten. Und sie lassen sich jetzt auch nicht mehr ohne weiteres vertreiben. Durch Pleiten und Misserfolge abgehärtet wie durch Fegefeuer und Sintflut, sind sie selbst zu halben Russen geworden und klammern sich mit Zähnen und Krallen an ihre Posten. Ihre frühere Überheblichkeit ist so gut wie verschwunden, und mit ihr die hemmungslose Verschwendung von Betriebskapital. Nur dann und wann drängt sich die alte schulmeisterliche Art an die Oberfläche, der gewohnte herablassende Ton á la »Ich als Ausländer verstehe ja wohl einiges mehr vom Business als Sie«.
    Und hier sitzt jetzt dieser Alan mit der bierernsten, verkniffenen Miene eines »echten Profis« und redet gequirlte Scheiße darüber, was man ihm angeblich alles bei seinem »speziellen Brand-Training« beigebracht hat. Dabei bin ich mir so gut wie sicher, dass er sich das meiste davon einfach aus irgendwelchen Wirtschaftszeitschriften zusammengelesen hat. Er quatscht und quatscht über Moral, den Wert der Familie und eine Gesellschaft ohne Laster; das sei die einzig richtige Einstellung, wenn es um Werbung für die Produkte unseres Konzerns gehe, und im Übrigen für Werbung überhaupt. Es sei, doziert er, ein Zeichen von mangelndem Geschäftsethos, wenn jemand die armen Verbraucher dermaßen provoziert, umso mehr, wenn dabei Drogen im Spiel sind.

    Ich nehme an, er findet es unglaublich cool, sich über die Frage der Lasterhaftigkeit unserer Marketingabteilung und meine unglückselige Verwickelung darin auszulassen. Aber wir sind hier nicht in seinem heißgeliebten Amerika, sondern in Russland, und bei uns denkt ein Abteilungsleiter gar nicht daran, sich in Sack und Asche zu kleiden und vor Gram die Haare auszureißen, nur weil er so eine entsetzliche Provokation nicht bemerkt hat. Der Trick bei solchen Auseinandersetzungen mit diesen Möchtegern-Spezialisten ist, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und dabei so frech wie möglich vorzugehen.
    »Sagen Sie, Alexej Andrejewitsch, wem ist diese fatale Zweideutigkeit in dem Werbeplakat denn eigentlich als Erstem aufgefallen? Ich meine die Assoziation mit Kokain? Ihnen?«
    »Mir? Nein, nein, Alan ist mit dem Entwurf zu mir gekommen und hat mich darauf aufmerksam gemacht, sonst wäre das so durchgegangen«, antwortet Kondratow.
    »Ach so, Alan … Ja, dann … Hmm.« Ich mache eine lange Pause. »Alan, wissen Sie zufällig, wie die Einschätzung unserer Zielgruppe in Bezug auf dieses Plakat ist? Unsere Marketingabteilung hat ungefähr zweihundert Personen in der Region befragt. Und wissen Sie, welche Assoziationen unser Bild bei ihnen hervorgerufen hat?«
    »Nein, ich wusste nicht, dass es hat gegeben eine Zielgruppenuntersuchung. Und was dabei ist herausgekommen?«
    »Das werde ich Ihnen sagen, meine Herren. Die Verbraucher in der Region assoziieren die dargestellte Person mit einem Mann, der beim Glücksspiel oder beim Pferderennen
gewonnen hat, und der auf einmal begreift, dass es etwas gibt, das mehr wert ist als Geld. Verstehen Sie, Alan? Höhere Werte! Und keiner der Befragten stellte irgendeine Verbindung mit Kokain her. Niemand außer Ihnen, wohlgemerkt! Aber für

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