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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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Männern schüttele ich die Hand und versuche mich genauso wie sie daran zu erinnern, wo wir uns begegnet sein könnten. Eines der Mädchen, Natascha, die ich bei der Abschlussparty im Club ZIMA auf der Toilette kennengelernt habe, macht mich mit allen bekannt. Ich lächle, die Typen lächeln auch, wir lächeln alle und sehen dabei aus wie die reinsten Vollidioten. Aber weil das hier so üblich ist, bringt das niemanden in Verlegenheit. Man war gerade dabei, die letzte Urlaubsreise von Ilona und ihrem Boyfriend auszuwerten, die eben aus Ibiza zurückgekommen sind. Die beiden sind so braungebrannt, dass sie sich kaum von der schokoladenfarbenen Einrichtung der »Galerie« unterscheiden. Ilonas Finger stecken voller Goldringe, die sie in Kombination mit ihren tiefbraunen Händen wie eine nubische Sklavin aussehen lassen. Aber Ilona weiß nicht, dass es ein Land namens Nubien je gegeben hat. Dafür hat ihr Boyfriend Farid Interessen in der Erdölbranche, und ihre beiden Freundinnen sind neidisch auf sie, weil er die ganze Zeit kein Wort sagt, immer charmant lächelt und die gesamte
Rechnung mit seiner goldenen Kreditkarte zahlt. Ilona fühlt sich als Königin des Abends und redet unentwegt mit tiefer, ein wenig heiserer Stimme irgendwelchen Unsinn. Sogar ihre Stimme wirkt braungebrannt.
    Die Leute am Nachbartisch blättern in dem Luxus-Lifestyle-Magazin Robb Report und unterhalten sich lautstark über die neuesten Jachtmodelle und Uhren. Ein Typ, der ein Gesicht hat wie ein tschetschenischer Prinz, erzählt gerade, wie er vor kurzem mit ein paar Freunden in einer Gulfstream nach Milano geflogen ist, dass ihnen unterwegs der Champagner ausging, sie in ein Luftloch gerieten, dass sie es aber trotz all dieser wahnsinnigen Abenteuer es doch noch rechtzeitig zur Präsentation der neuen Prada-Kollektion geschafft haben. »Das war so super!« Die Freundin des Prinzen, eine ziemlich imposante Blondine, nippt an ihrem Daiquiri wie in einem Werbespot und verschlingt ihn mit den Augen. Er sonnt sich in ihrer Bewunderung und lässt sie in dem Glauben, er habe ernste Absichten. Sie sind auch wirklich ein wunderschönes Paar – bloß heiraten wird er sie natürlich nie. Aber was spielt das schon für eine Rolle?
    Immer wieder kommen Leute an unseren Tisch, um uns zu begrüßen. Alle stellen stereotyp immer dieselben beiden Fragen: »Wie war’s im Urlaub?« oder »Wohin fahrt ihr in den Urlaub?«
    Niemand hört wirklich zu, was darauf geantwortet wird, jeder erzählt sofort von seinen eigenen Urlaubsplänen. Zwanzig Minuten stehe ich dort an dem Tisch und lasse mich über alle wichtigen Themen und die heißesten Klatschgeschichten der Stadt auf den aktuellsten Stand bringen. Man
diskutiert die neueste Kollektion von Galliano; man erklärt, was man davon hält, dass die Bar des Plaza Athénée in Paris mittlerweile vollständig von russischen Hostessen okkupiert ist; man einigt sich darauf, dass das Restaurant Nobu auch nicht mehr das ist, was es mal war, und dass es in London zurzeit entschieden zu kalt ist. Alle missbilligen die allgemeine Medienhysterie bezüglich des Fußballclubs Chelsea und beschließen einmütig, Prada sei doch schon ein wenig »demodé«. Dann werden die mehr oder weniger prominenten Personen der Hauptstadt durchgekaut. Wir freuen uns für Anja, dass sie Fedja endlich ins Bett gekriegt hat, lachen darüber, dass Ksjuschas Hochzeit zum x-ten Mal verschoben wurde und halten Anton für einen fiesen Kerl, weil er Tanja sitzengelassen hat – so ein patentes Mädel! (Irgendwer wirft allerdings dazwischen, Tanja sei eine Nutte.) Zwischendurch versucht jemand aus den hinteren Reihen, das Thema der drohenden Bankenkrise in Russland anzusprechen, wird aber augenblicklich mit der schlichten, aber wirksamen Bemerkung »Vergiss es!« zum Schweigen gebracht. Keiner hat Lust, sich von solchen uncoolen Themen die Laune verderben zu lassen. No fun.
    Ich sehe Natascha an und checke meine Chancen für den heutigen Abend ab. Sie schüttelt den Kopf und deutet mit den Augen auf den Freund von Farid. Aber das betrübt mich nicht weiter, ich forme mit den Lippen das Wort »toll!«. Sie antwortet mir auf die gleiche Art: »Allein …« und macht ein Zeichen in Richtung der dritten Freundin, einem sehr jungen Mädchen mit mittelblonden Haaren und großen blauen Augen (respektive Kontaktlinsen). Ich lege als Zeichen des Dankes zwei Finger an den Mund und nicke.

    Das allgemeine Stimmengewirr fließt in meinen Ohren zu einem einzigen

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