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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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gleichförmigen Rauschen zusammen, ungefähr so, wie wenn man sich eine Muschel ans Ohr hält. Wie ein Funker in einem Unterseeboot versuche ich aus diesem diffusen weißen Rauschen, aus dieser Informationsleere, den Sinn der Gespräche herauszufiltern, die überall im Saal geführt werden. Aber außer einer wahllosen Aneinanderreihung von Markennamen, Restaurants, Frauen- und Männernamen kommt nichts bei mir an. Es gelingt mir nicht einmal, die emotionale Grundstimmung herauszufiltern. Auch die Gesichter zeigen keinerlei Gefühle, weder Freude noch Trauer, weder Begeisterung noch Enttäuschung. Nicht die geringste Spur von Leben ist darin zu erkennen. Wenn man betrunken genug ist, meint man, jemand habe mit roter Farbe Münder auf Wachsköpfe gemalt, die sich bewegen wie Trickfilmfiguren, ruckartig und künstlich, oft nicht einmal synchron mit der Stimme. Aber die Hälfte dieser Trickfilmfiguren ist mir ja persönlich bekannt, es sind dieselben, die ich gestern im Vogue getroffen habe, dieselben, die mir morgen im Veranda begegnen werden. Niemand hier hat den geringsten Spaß an seinen Mitmenschen, es ist einfach nicht angesagt, sich seine Gefühle ansehen zu lassen. Ich denke, wenn wir auch nur für eine einzige Sekunde unseren Gefühlen die Macht über uns gäben, sähen wir um uns herum nur noch von Neid und Missvergnügen verzerrte Visagen, ungefähr so, als würden alle Anwesenden auf Kommando in knallgelbe Zitronen beißen. Ein Biss in puren gelben Neid.
    Zwei Mädchen gehen vorbei, mit starren, ausdruckslosen Gesichtern. Sie sehen niemanden direkt an, registrieren aber
haargenau, wer allein da ist und wer nicht und gucken sich ihre Opfer für diesen Abend aus. Ich bin sicher, sie haben irgendwo ein drittes Auge, entweder im Hinterkopf oder in der Stirn, mit dem sie das Schlachtfeld systematisch scannen – natürlich ein Infrarotauge, damit sie auch das Portemonnaie des anvisierten Opfers durchleuchten können.
    Das ganze Restaurant ist in ständiger Bewegung, unentwegt wechseln die Gäste zwischen den Tischen hin und her, bestellen, wo sie gerade sind, und ziehen weiter. Der Kellner versucht, in dem Gewimmel seine Kunden ausfindig zu machen, aber niemand weiß, wo die abgeblieben sind, schließlich nimmt man ihm die Getränke ab, und zu guter Letzt weiß kein Mensch mehr, wer was bestellt hat und wer das alles zahlen soll. Aber egal, was spielt das schon für eine Rolle? Ich beginne mich zu langweilen und stelle mich dicht hinter das Mädchen, auf das Natascha mich hingewiesen hat. Ich lege die Hand auf ihre Schulter und sage:
    »Hallo!«
    Sie streicht sich eine kleine Haarsträhne aus der Stirn und lächelt. Ich beginne ein Gespräch:
    »Möchtest du etwas trinken?«
    »Eigentlich ja nicht mehr. Vielleicht ein ganz klein wenig Champagner.«
    »Okay.«
    Sie sagt, sie heiße Lena, und dann beginnt sie mich auszufragen, in welchen Lokalen ich verkehre, wo ich meinen Urlaub verbringe und was ein anständiges Mädchen sonst alles so wissen muss, bevor sie eine ganze Nacht mit einem unbekannten Gentleman verbringen kann.
    »Hast du einen Job?«, frage ich zwischendurch.

    »Ich studiere. Nebenbei jobbe ich manchmal ein bisschen als Model. Und du?«
    »Ich bin auch ein Modell. Ein Panzer T-34. Aus der Modellbauserie ›Klebst du mich heut Nacht zusammen?‹ Kennst du die?«, sage ich und küsse sie auf den Hals.
    Sie weicht ganz leicht aus und schießt etwas ab wie: »Du bist wohl ein Witzbold, was?«
    »Entschuldige, ich wollte dich nicht verletzen.«
    »Ach nein, ich bin nur ein wenig schüchtern, bei fremden Männern!«, antwortet sie und sieht mich lockend an.
    Ich versuche mich schnell zu erinnern, was die Jungs von MTV in solchen Fällen zu sagen pflegen, und gebe zurück, sie sehe gar nicht aus wie ein Mädchen, die auf schnelle Bekanntschaften aus sei, und ich hätte mich normalerweise ganz bestimmt nicht getraut und so weiter, aber ich fände sie eben einfach super, und ob sie nicht noch ein wenig Champagner trinken möchte. Sie macht eine bewundernde Bemerkung über meine Uhr, ich streiche ich ihr über das Haar, und sie erzählt mir von ihrer Freundin, die sich ein Bein gebrochen hat, »beim Skifahren, irgendwo in den Alpen«. Im Hintergrund läuft, wie mir scheint, schon seit einer Ewigkeit die CD »La Suite« von Costes, und zwar immer ein und dasselbe Stück: »Doris Days«. Und die Leute um uns herum bewegen sich wie auf dem Laufsteg, mit aufreizenden Posen wie in einem Mode-Magazin. Allmählich

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