Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
Haute-Couture-Friedhof mit maßgeschneiderten Särgen. Lieferfrist ein halbes Jahr.«
»Das soll wohl ein Witz sein? Und wo sollen die Leichen so lange gelagert werden?«
»Man kann den Zeitpunkt seines Todes vorher mit ihnen absprechen, so können sie immer pünktlich liefern. Schätze, du solltest dich beeilen.«
»Du bist ein Idiot, Schnucki. Deine Witze sind voll out.«
»Ich mache keine Witze.«
»Vergiss es.«
»Ich hab gehört, das First, das Poison und das Bad wollen im September zusammen ein Flugzeug chartern und zum Weekend in die Türkei jetten, stimmt das?«
»Keine Ahnung. Und wenn, fliege ich sowieso nicht mit, da sind doch nur Junkies dabei.«
»Aha, und was bist du, hahaha?«
»Blöde Gans! Ich bin seit zwei Wochen clean.«
»Was machen wir eigentlich Silvester?«
»Immer langsam, meine Liebe, wir haben jetzt gerade mal Juni.«
»Spielt das eine Rolle?«
»Ist im Januar wieder Courchevel angesagt?«
»Oh Mann, das steht mir allmählich bis hier! Aber es gibt ja sonst nichts, was bleibt einem anderes übrig?«
»Auf jeden Fall trifft man da wieder mal ALLE. Wie öde!«
»Du kannst ja nach Jachroma tippeln. Da kann man auch Skifahren.«
»Mann, hör auf, das ist doch voll out!«
Ich betrachte die Serviette, die vor mir auf dem Tisch liegt und klinke mich allmählich aus. Mein neues Mädchen ist so vereinnahmt von diesem geistlosen Gespräch, dass sie meine Existenz völlig vergessen hat.
»Tja, wir werden wohl langsam alt, was, Bruder?« Mischa legt mir die Hand auf die Schulter.
»Natürlich, das ist ein irreversibler Prozess«, entgegne ich und sehe ihm in die Augen.
»Langweilst du dich hier?«
»Nicht mehr als sonst auch. Entschuldige, deine Freunde sind ganz reizend, aber ich glaube, ich sollte langsam verschwinden. Die Kleine da nehme ich mit, falls sie sich noch an mich erinnert.«
»Ach, so einen charismatischen Typen wie dich vergisst man doch nicht so einfach«, lacht Mischa. »Aber erzähl mir lieber mal, wie’s dir jetzt so geht. Wir haben uns ja seit mindestens hundert Jahren nicht gesehen.« Er dreht den anderen Leuten den Rücken zu, als wollte er damit demonstrieren, dass er sich ganz auf unser Gespräch konzentriert.
Ich erzähle ihm von meiner Arbeit, von meinen Frauen, von Drogen und Clubs. Wir erinnern uns an gemeinsame Freunde, klären ab, wer von ihnen noch lebt und wer noch nicht ausgewandert ist, reden über die Frauen, die wir gekannt haben, ob sie jetzt wohl glücklich sind oder nicht. Dann erzählt Mischa von seiner Zeit in New York und in Westeuropa. Er hat einen Haufen ziemlich abgefahrener Geschichten auf Lager. Von wilden Partys in Milano und Berlin, wüsten Drogenexzessen in Paris, hemmungslosem Luxusleben in Saint-Tropez und Courchevel; von Londoner DJs, der Schwulenszene in San Francisco, von Schicki-Micki-Frauen in Miami und russischen Neureichen in Marbella, von Schweizer Privatkliniken für reiche Szenetypen und von thailändischen Transvestiten.
Mischa gehört zu jener Kategorie von Menschen, die dich mit ihrem Charme innerhalb von Sekunden um den Finger wickeln. Er ist so unkompliziert und umgänglich, hat eine so wunderbar geringschätzige Art gegenüber Geld, und er kennt einfach alle und jeden, und jeder kennt ihn. Dabei hat er wirklich Format. Die Art, wie er redet, seine Mimik und Gestik zieht jeden in seinen Bann. Wenn man ihm zuhört, bekommt man sofort gute Laune, egal, wie schlecht man vorher drauf war. Mit einem Wort, Mischa ist ein Mensch, mit dem jeder gern befreundet sein möchte, je näher, desto besser. Die ideale Mischung zwischen einem weltgewandten, unbekümmerten Dandy und einem denkenden Menschen. Es kommt mir so vor, als wäre er überhaupt nie weggewesen, so gut ist er über alles, was in der Stadt los ist, auf dem Laufenden. Trotzdem sieht man sofort, dass er längere Zeit in Europa verbracht hat, er ist einfach anders als die meisten hier.
Ich klage ihm mein Leid über die ewige Langeweile, die Leblosigkeit der Menschen, mit denen man zu tun hat, ihre Heuchelei und Banalität, erzähle ihm, wie müde und ausgehöhlt ich mich von diesen flüchtigen Beziehungen und Eintagsfreundschaften fühle.
»Weißt du«, sagt er und umfasst mit einer weiten Geste den ganzen Saal. »Alle diese Leute hier nehme ich überhaupt nicht als Menschen wahr. Ich bin schon so lange in diesem Geschäft unterwegs, ich habe so viele Partys und Shows und Clubs organisiert, dass ich eines längst begriffen habe: Die Dummheit dieser Leute,
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