Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
betrachte meine Schuhspitzen. Schließlich muss ich über beide Ohren grinsen und trete ein.
»Nimmst du einen Whiskey?«, fragt Vadim statt einer Begrüßung.
»Bist du verrückt? Es ist gerade elf Uhr. Oder fangen wir jetzt schon am frühen Morgen an, uns zu besaufen?«
»Alter, irgendwo auf der Erde ist es jetzt Nacht, in New York zum Beispiel.«
Vadim kommt hinter dem Tisch hervor, drückt mir die Hand, wir umarmen uns und treten ans Fenster.
»Ein wunderschöner Tag heute.«
»Einfach ein großartiger Tag heute«, antworte ich und stimme mich auf seine Wellenlänge ein.
Vadim kenne ich seit gut sieben Jahren. Wir haben uns auf der Geburtstagsfeier einer gemeinsamen Bekannten getroffen. Wer von uns beiden ihr damals gerade den Hof machte, habe ich längst vergessen, aber das interessiert uns heute auch nicht mehr. Wir haben uns vom ersten Moment an großartig verstanden und uns gleich nach allen Regeln der Kunst volllaufen lassen. Wir stellten viele gemeinsame Interessen auf den Feldern Literatur, Film, Sport und Musik fest. Wir diskutierten über Politik, besuchten Kunstausstellungen und Rockkonzerte, klapperten zusammen die Diskotheken
ab oder hockten einfach faul in irgendwelchen Parks und tranken. Wir fuhren sogar ziemlich oft zusammen in den Urlaub. Mir graust es heute noch, wenn ich daran denke, dass wir uns manchmal sogar gegenseitig anpumpten. Später heiratete er, und wir sahen uns seltener. Aber wir verloren einander nie aus den Augen, telefonierten regelmäßig miteinander und schickten Grüße zu den Geburtstagen, zu Weihnachten usw. Obwohl jedoch jeder weiß, dass wir dicke Freunde sind und vieles miteinander gemein haben, muss ich zugeben, dass von unseren gemeinsamen Interessen im Laufe der Jahre nur Mädchen, Feten und bestenfalls dieselben Dealer übrig geblieben sind. Mehr nicht. Was andererseits in der heutigen Zeit gar keine schlechte Bilanz für eine siebenjährige Freundschaft ist. Und so spielen wir weiterhin vergnüglich beste Freunde, weil keiner von uns im Grunde echte Freunde hat.
Vadim ist Marketingdirektor in einem großen internationalen Tabakkonzern. Zu seinen Aufgaben gehört die Positionierung der Produktlabels seines Unternehmens im Bereich der Vergnügungsindustrie, was zu seinem Lebensstil natürlich passt wie die Faust aufs Auge. Visuelle Positionierung in den Clubs, Restaurants und Casinos, Sponsoring von Partys und mondänen Veranstaltungen, ein traumhaftes Budget, zehn Angestellte unter sich, was könnte besser sein, um jung zu sterben?
»Vadim«, beginne ich, »du hast mir doch am Sonntag erzählt, dass Mischa Selenow einen neuen Club aufmachen will, erinnerst du dich?«
»Klar, davon spricht doch ganz Moskau. Nächste Woche soll Eröffnung sein.«
»Ich habe Mischa gestern Abend getroffen. Er hat mir erzählt, dass der Laden so gut wie fertig ist.«
»Aha. Und? Sollen wir als Türsteher bei ihm anfangen?«
»Eher unwahrscheinlich, er hat nämlich nicht genug Kohle, uns zu bezahlen. Ein Geldgeber ist abgesprungen. Wie gesagt, der Laden ist fast fertig, das Inventar schon geliefert und so weiter, aber jetzt fehlen ihnen hundertfünfzigtausend für die letzten Feinarbeiten. Es geht um einen Geschäftsanteil von zwanzig Prozent.«
»Und was hat das mit uns zu tun?«
»Mischa hat mir gestern Abend, so quasi nebenbei, ein Angebot gemacht. Der Club soll etwa acht Monate lang laufen, in der Zeit wollen sie richtig Kohle einfahren. Dann machen sie den Laden zu und woanders einen neuen auf. Es ist alles schon perfekt, sämtliche Genehmigungen liegen vor, kurz, sie stehen ziemlich unter Zeitdruck, und ich denke, das wäre eine super Gelegenheit, bei ihnen einzusteigen.«
Vadim geht zurück an seinen Schreibtisch. An der Art, wie er seinen Kugelschreiber in den Händen dreht, erkenne ich, dass ihn dieselben Gefühle von Ehrgeiz und Eitelkeit bewegen wie mich.
»Tja, spannende Idee. Was Mischa macht, läuft auf jeden Fall, so oder so. Und was hältst du selber von der Sache?«
»Ich kann fünfzigtausend flüssigmachen, und noch mal so viel leihen. Aber ich würde mich gerne mit jemandem zusammentun, auf den ich mich verlassen kann. Wie sieht’s aus, bist du interessiert?«
»Ich weiß nicht so richtig. Einerseits klingt es sehr verlockend, andererseits muss man sich so etwas sehr gut überlegen.«
»Vadim, da gibt es nichts zu überlegen. Entweder ja oder nein. Ich denke, das ist eine sehr reelle Sache. Was glaubst du, wie viele Menschen ihr Leben lang auf so
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