Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
ich das ernst, Natascha. Selbstverständlich habe ich große Lust, an euren Vergnügungen für echte Intellektuelle teilzunehmen. Ich ziehe mir ein feines Sakko an, kremple mir die Ärmel hoch und schiebe fleißig Kugeln. Dann lassen wir uns volllaufen wie die Wildschweine und rauschen ab zur nächsten Karaokebar, wo wir im Chor beschissene Volkslieder trällern. Und wenn alle blau genug sind, ziehen die Typen los, ein paar syphilitische Huren anzuheuern, wir beide hingegen fahren zu mir nach Hause. Und ich hab für alle Zeiten den Ruf eines Provinztussenaufreißers weg. Habe ich mir schon immer sehnlichst gewünscht. Das
denk ich mir und geleite sie lächelnd zur Tür. Ich brauche unbedingt eine anständige Line. Aber bestimmt nicht die Bowlingline, honey.
Ich bin überhaupt ein Gegner von Betriebsversammlungen und -feiern. Angeblich sollen sie »dazu beitragen, den Teamgeist zu formen und das gegenseitige Verständnis zu fördern«. In Wirklichkeit formen und fördern sie einen Scheißdreck. Was soll denn da für ein Teamgeist herrschen zwischen einem Lagerarbeiter, der schlappe 500 Euro im Monat verdient, und einem blasierten Snob wie mir, der das Gleiche an einem Tag einsackt? Soll der Bürobote Verständnis dafür haben, dass ich an einem Tag seinen kompletten Monatslohn durch die Nase ziehe? Das ist doch dumme Scheiße! Wer faselt denn in einem Kollektiv von Schwindlern, Idioten und unfähigen Nichtstuern mit Größenwahnkomplex überhaupt von Teamgeist? Wenn es darum geht, wie man sich am besten aus den Futtertrögen bedient, ist doch die Mannschaftsaufstellung längst klar. An dem Punkt herrscht absolutes gegenseitiges Verständnis.
Ich persönlich liege bei diesen kollektiven Verbändelungen regelmäßig quer. Jetzt glauben Sie bloß nicht, dass ich mir ernsthafte Sorgen um meinen guten Ruf mache. Der ist sowieso hin. Ich kann nur diese allgemeine Heuchelei und Bigotterie nicht ertragen. Ich verstehe durchaus, dass meine Angestellten mich nicht ausstehen können, aber ich möchte mir das nicht von ihnen ins Gesicht sagen lassen, schon gar nicht im Vollrausch auf irgendeiner Betriebsfeier. Wussten Sie, dass die meisten fristlosen Kündigungen an genau den Tagen ausgesprochen werden, die auf solche Firmenfestivitäten folgen?
Davon abgesehen ist mir dieser Mummenschanz grundsätzlich zuwider, mit albernen Pfänderspielen, Sackhüpfen, allgemeiner Verbrüderung und sonstigem Eiapopeia. Von wegen: Heute sind wir alle gleich. Es gibt immer noch Trottel, die bei solchen Anlässen ihre Bosse jovial auf die Schulter klopfen, oder vorwitzige Chauffeure, die ihre in Würde gereifte Chefin in den Hintern kneifen. Es versteht sich von selbst, dass da am nächsten Tag ein bitteres Erwachen folgt.
Der zweite Teil der Konferenz beginnt. Er widmet sich den Berichten über die internationalen Erfolge des Konzerns und den Prognosen für die Entwicklung des russischen Marktes. Die Verkaufspläne werden traditionell während der Jahreskonferenz nicht verkündet, sondern per Post nachgereicht. So blöde ist Neker nicht, diese Zahlen, die um dreißig Prozent zu hoch angesetzt sind, den Anwesenden ins Gesicht zu sagen. Die Filialleiter würden ihn auf der Stelle in der Luft zerreißen. Kurz, dieser Teil der Veranstaltung verspricht noch langweiliger zu werden.
Neker bietet den Konferenzteilnehmern Erfrischungen an, Tee, Kaffee oder Wasser. Er ist großzügig, der alte Halunke. Er weiß, die Boni sind verteilt, die Verkaufspläne werden später verschickt, wenn er längst abgereist ist, und er will die Stimmung ein wenig auflockern.
Eine Sekretärin erscheint mit einem Tablett voller gefüllter Kaffeetassen. Die der Tür am nächsten Sitzenden greifen nach den Tassen und wollen sie Neker anbieten. Neker dankt und gibt zu verstehen, dass er Tee bestellt hat. Sofort zischen alle die Sekretärin an: »Haben Sie nicht gehört, was Mister Neker bestellt hat?« und verkünden daraufhin
einander übertönend, sie wollten ebenfalls Tee und keinen Kaffee.
Die Sekretärin zieht beleidigt ab, die Konferenzteilnehmer nicken betrübt mit den Köpfen und beklagen die Unfähigkeit des niederen Personals. Das ist das Wichtigste in unserem Business: Man muss zum rechten Zeitpunkt einen Prügelknaben finden. Am besten, man wählt für diese Rolle einen Nebendarsteller, so wie diese subalterne Angestellte, die weiter keine Bedeutung hat, und erklärt zum Beispiel frech, dass man nur deshalb keine Erfolge aufzuweisen hat, weil die alle
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