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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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wir da, dreschen leeres Stroh, quatschen dann und wann in unsere Handys und schielen nach links und rechts, wie irgendwelche Penner auf dem Bahnhofsplatz, die abchecken, wen sie beklauen können. Ein Typ stellt sich zu uns, ungefähr in unserem Alter, verfettet, mit Brille und Schweinchengesicht. Er sagt, er sei Redakteur oder so eine Art Direktor von irgendeinem Magazin (das natürlich keiner kennt), verteilt ungefragt seine (entsetzlich geschmacklosen) Visitenkarten und kaut uns ein Ohr ab, wen er alles kennt und was er gerade für super Projekte am Wickel hat. Nach jedem Halbsatz kommt ein »Das ist der Hammer!« oder »Die werden sich auf den Arsch setzen!« oder irgend so eine Scheiße. Alle stehen mit angeödeten Gesichtern da und denken vermutlich dasselbe: Wer hat diesen Kretin bloß hier reingelassen?
    Der Kretin ist inzwischen bei seinem vierten Whiskey, seine Fresse wird röter und röter, und sein widerliches billiges Jackett, so ein Teil, das normalerweise bloß kleine Beamte tragen, rutscht ihm ständig schief. Jetzt steht er vor mir, glubscht mich mit leuchtenden Schweinsäuglein an und speichelt mich voll. Ich stelle fest, dass er einen Narren an mir gefressen hat. Alle paar Minuten dreht er sich kurz weg und quatscht in sein Handy, immer nach demselben Muster:

    »Ja! Hallo? Mascha? Ich habe dich doch gebeten, mich nicht anzurufen. Ich bin gerade sehr beschäftigt. Ist der Chef schon weg? Gut, ich muss auflegen.« Zwischendurch erklärt er mir, das Telefon mit der Hand bedeckend: »Das ist meine Sekretärin. Völlig vertrottelt!«
    Natürlich ist mir klar, dass der Typ nichts weiter als ein blöder Laberarsch ist, eine totale Null, und dass diese Mascha ganz bestimmt nicht seine eigene Sekretärin ist, sondern die von seinem Boss. Er plustert sich immer mehr auf. Jetzt bietet er mir schon Sonderkennzeichen für mein Auto an, inklusive fast legalem Blaulicht. Also kurz, er geht mir langsam ziemlich auf die Eier, und ich überlege, wie ich ihn möglichst schnell loswerden kann. Mir gehen grundsätzlich Leute auf die Nerven, die sich so hemmungslos anbiedern. Ich unterbreche sein Gesabbel mit der Bemerkung, ich müsse mir dringend was zu trinken holen und lasse ihn einfach stehen, aber dieser kleine Scheißer läuft mir doch tatsächlich hinterher. An der Bar bestelle ich mir einen Whiskey und schaue mich dabei im Raum um. Aber ich sehe nicht ein bekanntes Gesicht, und als mir klar wird, dass ich diesen Esel noch mindestens eine halbe Stunde ertragen muss, lasse ich mir gleich noch zwei Gläser geben. In besoffenem Zustand fällt es mir auf jeden Fall leichter, seinem Geschwätz zuzuhören, außerdem gelingt es mir dann vielleicht, ein paar Grobheiten von mir zu geben, damit er sich verzieht. Wenn ich nüchtern bin, bleibe ich dummerweise immer Gentleman.
    Im mittleren Saal startet jetzt die Show eines trendigen, mehr oder weniger durchgeknallten Modeschöpfers. Man sagt hier statt »Show« natürlich »Performance« oder »Installation«
oder so was. Ich bin in dieser überkandidelten Terminologie nicht so fit. Ein Podium fährt aus der Wand, irgendein Idiot im Mickymauskostüm klettert drauf und verkündet dem »hochverehrten Publikum« (das inzwischen entweder besoffen oder zugedröhnt ist), es werde nunmehr eine Performance unseres »beliebten Star-Designers Andrej Scharpejew« zu sehen bekommen. Die versammelte Szene wogt und wallt vor das Podium, der Schmierenjournalist und ich lassen uns von dem Strom mitziehen. Mickymausman (oder -woman) klatscht in seine Pfötchen, ruft laut »Andrej« – und zack, wer hätte das gedacht, kommt tatsächlich so eine Modetunte aus den Kulissen gesprungen, ein klapperdürres Männchen mit grüner Brille und kahlem Schädel, schnappt sich das Mikro und fängt sofort an, Scheiße zu labern. »Ich habe wirklich sehr, sehr, sehr lange an dieser Kollektioooon gearbeitet, fast ein halbes Jaaaahr lang, und ich wünsche mir sehr, sehr, dass ihr aaaalle hier euch als Teil meiner Arbeit fühlt. Ich lieeeeebe euch!« Er zieht die Wörter wie Kaugummi in die Länge, macht zwischendurch ein Schmollmündchen und ist so übertrieben tuntig, dass ich es kaum ertrage.
    Die Performance der Schwachköpfe beginnt. Der Titel der Aktion lautet »Brötchenmenschen« oder »Ballet der Brotkrümel« oder so ähnlich, genau habe ich es nicht verstanden. Ich glaube mich zu erinnern, dass so etwas Ähnliches auf der Einladung stand. Fürchterliche Musik mit einem mörderischen Rhythmus

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