Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
Vom Netzwerk:
»Heißer Schnee« einen General spielt, als der er mit einem kümmerlichen Häufchen von Soldaten Auge in Auge den Panzern Mansteins gegenübersteht. Er schreitet die Reihen seiner Mannen ein letztes Mal ab, verteilt Orden aus einem kleinen Körbchen und spricht: »Das ist alles, was ich für euch tun kann.« Wenn man Neker sieht und sich die zerstörten Panzer und Kanonen und die Leichen der Gefallenen dazu vorstellt, hat man also eine perfekte Version von »Heißer Schnee 2«.
    Waffen und Panzer kann unsere Firma nicht bieten, aber gefallene Krieger mehr als genug. Die Zahl derer, die wir verrecken ließen, gnadenlos auf die Straße gesetzt haben im Namen sakrosankter Verkaufspläne und Bilanzen, ist Legion. Wie viele Sekretärinnen und Verkaufsmanager wurden im Verlaufe jenes Erbsen-Mais-Krieges mir nichts, dir nichts rausgeschmissen, ohne ihnen auch nur ihre verbliebenen Urlaubstage zu erstatten. Von den Merchandisern, Lagerarbeitern und Fahrern gar nicht zu sprechen, diese armseligen Infanteristen zählen sowieso nicht. Die werden einfach abgeschrieben wie schadhafte Ware oder Werbemuster.
    Ich bin schweigender Zeuge dieses Holocausts, soweit er sich in Moskau ereignet, und, das lässt sich nicht verschweigen, auch Mittäter. Aber während man sich hier bemüht, sich halbwegs im Rahmen des Arbeitsrechts zu bewegen, regiert in der Provinz oft die blanke Willkür. Dort gerieren sich die Direktoren wie die Wojwoden zur Zeit Iwan des Schrecklichen. Ihre Posten sind lebenslange Pfründe, und in den Betrieben herrscht der reinste Feudalismus.

    Das Schlimmste an all dem ist, dass Boni immer für die kompletten Abteilungen gezahlt werden, je nach Anzahl der Mitarbeiter zum Anfang des Jahres. Sie können sicher sein, dass die Angestellten, die im Laufe des Jahres entlassen werden, nicht eine Kopeke davon zu sehen bekommen. Was ihnen von Rechts wegen zustünde, reißen sich diese Geier von Vorgesetzten unter den Nagel. Und da sitzen sie dann in der Jahreskonferenz und knipsen vor lauter Vorfreude mit den Firmenkulis, weil sie sich jetzt schon ausrechnen, wie viel sie sich auf Kosten dieser »Toten Seelen« in die Tasche stecken können. Und dabei haben sie ja zusätzlich noch ihre persönlichen Jahresboni!
    Allerdings sollte auch das nicht vergessen werden: Über die persönlichen Boni verliert man hier kein Wort, sonst ginge es bei diesen Konferenzen zu wie bei der Schlacht am kalten Büffet. Mit dem allergrößten Vergnügen würden sie sich gegenseitig den Garaus machen. Sie würden die Hände ihrer Gegner auf die Tischplatte tackern und sich mit ihren Aktenkoffern gegenseitig die Köpfe einschlagen. Ich stelle mir vor, wie dieses dicke Weib da drüben, die Direktorin unserer Filiale in Samara, die mich ununterbrochen mit E-Mails nervt, in denen sie über die Marketing-Abteilung herzieht und mehr Geld für ihr Promotion-Budget verlangt, ihrer Kollegin aus Nowosibirsk genüsslich den Hals mit ihren Achtzentimeter-Fingernägeln aufschlitzt.
    Wenn sie wüssten, welches Stück ich mir von der Torte zu ergattern gedenke, träfe einige von ihnen der Schlag. Dieses schnuckelige Mädchen da hinten zum Beispiel (Sie heißt Natascha und ist Vertriebsdirektorin in Rostow), würde auf der Stelle einen epileptischen Anfall bekommen. Ich kenne
sie ganz gut, weil ich sie zwei Mal im Jahr, bei meiner regulären Visite in Rostow, in unserer dortigen Dienstwohnung vögele. Sie ist pathologisch geldgeil und versucht, mir jede Minute, die wir zusammen sind, irgendwas aus dem Kreuz zu leiern. Außerdem geistert in ihrem Hirn der absurde Gedanke herum, ich würde sie irgendwann nach Moskau mitschleppen. Oh ja, ganz bestimmt, nichts lieber als das!
    Ich drehe mich zu ihr um und zwinkere ihr freundlich zu.
    Inzwischen geht dieses alljährliche Rührstück dem Ende zu. Schon gratuliert man den zentralen Regionen, wendet sich dem Department Nord-West zu, schon lehnt sich der Direktor der Petersburger Filiale mit unzufriedenem Gesicht in seinem Stuhl zurück. Nun kommt aber noch der wichtigste Teil – Moskau. Während Neker mit einem Blick wie ein Dolch meine Quote verkündet, versuche ich, der Umwelt eine dankbare und zufriedene Fresse zu präsentieren. Schade eigentlich, dass ich immer noch nicht gelernt habe, auf Knopfdruck zu heulen, so was wäre in solchen Momenten höchst hilfreich.
    Aber nach den Ereignissen dieser Woche bin ich so neben der Spur, dass ich wohl ohnehin aussehe wie eine Leiche. Grateful Dead.
    Während meine Zahlen

Weitere Kostenlose Bücher