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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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wohl in der Luft, dass ich mir heute möglichst schnell die Kante geben muss. Der Fahrer des Wolga, ein bärtiger Typ Mitte vierzig, sieht aus wie ein typischer Geologe. Der arme Kerl klammert sich so krampfhaft ans Lenkrad, als hinge sein Leben davon ab. Seine Augen kleben förmlich auf dem Asphalt, nicht ein Mal wendet er den Blick zur Seite, um mich anzusehen, solche Angst hat er, von der Straße abzukommen. Autofahren ist für ihn offensichtlich der reine Stress, aber sicher auch seine Haupteinnahmequelle. Also bleibt ihm keine andere Wahl. Während ich ihn von der Seite betrachte, fällt mir der alte Witz von dem Typ ein, der mit seiner Frau Auto fährt:
    »Dusja, ist mein Fenster offen?«, fragt der Mann am Steuer.
    »Ja.«
    Er dreht blitzschnell den Kopf nach links und spuckt.
    Ich kichere. Der Fahrer ist von meinem Kichern so irritiert, dass er seine Angst vergisst und mich ansieht. Seine Augen sind voller Trauer und Furcht.
    »Es ist nichts«, beruhige ich ihn. »Ich lache nur über etwas, das gerade im Radio gesagt wurde.«
    Es entsteht eine Pause. Die Schultern des Fahrers entspannen sich ein wenig, er starrt wieder auf die Straße. Nach einer Weile sagt er düster:

    »Ich habe gar kein Radio.«
    Es folgt eine noch längere Pause. Jetzt bin ich unter Druck. Krampfhaft überlege ich, was ich ihm antworten soll. Die Situation ist ziemlich komisch, um nicht zu sagen, idiotisch.
    »Na so was, ich dachte, da wäre ein Radio«, versuche ich mich aus der Klemme zu ziehen. »Es kam mir wirklich vor, als hätte ich was gehört. Offenbar eine akustische Halluzination. Wissen Sie, es gibt eine Musiktruppe, die so ähnlich heißt. Kennen Sie die vielleicht? ›Für immer jung, für immer besoffen‹«, trällere ich.
    »Nein«, antwortet er erschrocken. Und dann, als wollte er sich entschuldigen, fügt er hinzu: »Ich interessiere mich überhaupt nicht für moderne Musik.«
    »Ich eigentlich auch nicht. Entschuldigen Sie.«
    Mir fällt plötzlich auf, dass ich mir angewöhnt habe, den Leuten irgendwelchen Unsinn zu erzählen, ohne darüber nachzudenken, was ich da eigentlich rede; meistens, um sie möglichst schnell loszuwerden. Noch weniger überlege ich, welchen Eindruck meine Worte auf meinen jeweiligen Gesprächspartner machen. Aber in eine so knifflige Situation wie diese gerate ich eigentlich selten. Entweder halten mich längst alle für einen ausgemachten Trottel, oder der größte Teil der Menschen, mit denen ich Tag für Tag zu tun habe, sind Vollkretins, denen es sowieso egal ist, was man zu ihnen sagt. Beide Schlussfolgerungen sind ziemlich scheiße und tragen zu meinem Bild von der Wirklichkeit aber auch gar nichts Positives bei.
    Der Rest der Fahrt verläuft in tiefem Schweigen. Die Stille ist die schönste Musik, nicht wahr? Ich betrachte die Spitzen meiner Turnschuhe und nicke im Takt zu dem Song in
meinem Kopf. Da läuft nämlich gerade »We’re all made of stars« von Moby. Aber das weiß der Geologe natürlich nicht. Er starrt durch die Windschutzscheibe nach vorn, ohne ein einziges Mal zu zwinkern, als wäre er eine Eule. Außerdem kratzt er sich vor Aufregung ununterbrochen den Bart und den Hals, mit schroffen, schnellen Bewegungen, wie ein Hund, wenn er sich flöht. Das nervt ein wenig. Aber ich nerve ihn wahrscheinlich auch.
    Als er mich abgesetzt hat, braust er mit aufheulendem Motor weiter. Ich bin fast sicher, dass er mich für einen Psychopathen hält. Dafür halte ich ihn für einen hartgesottenen Junkie oder Alkoholiker.
    Die Bar Der Krug ist eine ziemlich üble Lokalität, die hauptsächlich von Studenten, kleinen Angestellten und mittelmäßigen Rockmusikern frequentiert wird. Das Bier ist ungenießbar (zumindest sieht es so aus, Gott sei Dank trinke ich kein Bier), der Weinbrand gepanscht und der Wodka billig. Man isst hier vorzugsweise Schawarma mit Pommes frites. Ich möchte behaupten, dass dies inzwischen zum russischen Nationalgericht für diese Art Publikum geworden ist, ähnlich wie Sushi für den wohlhabenden Teil der Bevölkerung. Es geht schnell, macht satt und kostet nicht viel. Für die Betreiber ist Der Krug eine Goldgrube. Der Laden ist immer rappelvoll. Am Tresen steht man in drei Reihen, es gibt nie genug Gläser, und die Kellner kommen mit den Bestellungen nicht hinterher. Es ist also alles, wie es sein soll: Wenn du richtig Geld verdienen willst, mach Geschäfte mit den Armen.
    Die verlotterte Internetbande, insgesamt um die zwanzig Nasen, hat sich an zwei

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