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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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besonderem Timbre aus. Anscheinend bereitet ihm das Jonglieren mit diesen Ausdrücken physische Lust, fast wie ein Orgasmus. Ich bemerke im Stillen, dass einer meiner Bekannten aus der Szene mit derselben Inbrunst die Wörter »multinational« und »Globalisierung« ausspricht. Wobei klar ist, dass sowohl Oparysch als auch mein Szenebekannter diese Ausdrücke nur verwenden, um ihre Zugehörigkeit zur Führungsschicht des jeweiligen Mikrokosmos zu artikulieren. Als Mittel der persönlichen Identifikation in den Augen ihrer Umgebung, bestimmt aber nicht deshalb, weil sie sich tatsächlich mit den Problemen des Volkes oder mit
der Bedeutung der Globalisierung für den Planeten Erde auseinandersetzen.
    Die Versammelten schweigen vielsagend. Einmal mehr wundere ich mich darüber, wie sehr unsere selbst gebackenen Revolutions-Ideologen zu geschraubten Formulierungen neigen.
    Mir graut bei der Vorstellung, was passieren wird, wenn diese Leute auf irgendeine Art und Weise an die Macht kommen. Sie werden unser Land in eine Kaschemme wie Der Krug verwandeln, unter dem Vorwand, es von den Untaten des »kriminellen Regimes« reinwaschen zu wollen. Aber sie werden es nicht mit Wodka spülen, das ist das Problem. Mit dem größten Vergnügen werden sie uns, das ganze mittlere und höhere Management, am nächsten Baum aufknüpfen oder auf schmutzigen Gefängnishöfen an die Wand stellen. Da die Oligarchen zu diesem Zeitpunkt längst das Weite gesucht haben, muss die berüchtigte Mittelklasse für die Tyrannen herhalten, die ihren Wohlstand auf den Knochen des arbeitenden Volkes errichtet haben und nun endlich vor sein oberstes, heiliges Gericht gestellt werden. Niemand wird sich an die Namen dieser Oligarchen erinnern, die sich den Reichtum unserer Erde, unsere Bodenschätze, angeeignet haben, aber zuhauf werden jene Rächer des Volkes erstehen, die in heiliger Glut darauf brennen, ihre ganz persönliche Rache an den Besitzern besserer Autos, Uhren und Anzüge zu üben. Es ist nun einmal weniger anstrengend, die Leute abzumurksen, denen man irgendwann mal einen Fuffi oder Hunni aus dem Kreuz geleiert hat, als sich mit Millionären herumzuschlagen, die nicht mehr da sind. Irgendwann wird man somit der Moskauer Schickeria ihre
Tod’s und Pradas um die Ohren schlagen. Was in Wirklichkeit alles natürlich nur Fantasie ist. Tatsächlich enden alle diese Revolutionen, sobald genug Spendengelder auf dem Privatkonto ihres Anführers eingegangen sind. Und wieder einmal wird man sagen können: Das Geld hat das Böse besiegt.
    »Letzte Woche haben die Bullen eine Freundin von mir eingelocht«, mischt sich jetzt eines der beiden anderen Mädchen in das Gespräch. Sie hat ein nettes, intelligentes Gesicht, ist gar nicht schlecht gekleidet und wirkt sehr gepflegt. »Sie wollte mit ein paar Freunden zusammen ein Plakat an die Eingangstür des FSB-Gebäudes kleben. Da stand drauf: ICH BIN FANTOMAS, UND DU BIST SCHEISSE! Die Bullen haben sie sofort geschnappt und aufs Revier geschleppt, acht Stunden später hat man sie wieder laufenlassen. Nadja hat schreckliche Sachen erzählt, wie es da zugeht. Sie wurden zwar nicht geschlagen, aber die haben Methoden wie bei der Gestapo, sagt sie.«
    »Und was hat sie erwartet? Dass man ihr einen Orden als Heldin der Russischen Föderation verleiht? Was sollte der Schwachsinn überhaupt?«, entgegne ich. »Sie hätte lieber zu Hause bleiben sollen, mit ihrem Typen eine Runde vögeln oder ins Theater gehen.«
    Das Mädchen kommt aus dem Konzept. Bisher ist bei ihr alles nach Plan gelaufen. Sie flirtet nach Herzenslust mit den jungen Revolutionären, die Unterhaltung läuft wie geölt. Und sie weiß in der Regel schon im Voraus, was ihr der Typ antworten wird, dem sie zum Zweck der Eröffnung respektive Fortsetzung der Beziehung ihre Stichworte zuwirft (Ich gehe davon aus, dass die Mädchen bei diesen Politfreaks
sowieso nur zum Vögeln gedacht sind). Plötzlich komme ich daher und bringe ihr mit meinen eigentlich ganz logischen Bemerkungen das Strickmuster durcheinander. Verständlich, dass ihre mentale Waage ins Schaukeln gerät. Sie schwankt zwischen dem gesunden Menschenverstand meiner Einwände und dem Wunsch, sich als Revoluzzerin aus gutem Hause auszuweisen.
    »Das ist kein Schwachsinn«, setzt Iwan sich für sie ein. »Dieses faschistische Regime muss mit allen verfügbaren Mitteln bekämpft werden. Stetes Wasser höhlt den Stein. Dann wird die kritische Masse wachsen und schließlich alles in den Gulli

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