Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
spülen.«
»Iwan«, frage ich. »Was hast du persönlich eigentlich gegen dieses Regime? Du sitzt hier, quatscht über irgendwelche Revolutionen, erzählst, dass die einfachen Leute keine Chance haben, ein anständiges Leben zu führen. Du bist jung und gesund, du hast noch viele Jahre vor dir, jede Menge Perspektiven und Chancen. Tust du eigentlich irgendetwas, um deinen Arsch aus dieser Outsider-Scheiße rauszuziehen? Du könntest doch, zum Beispiel, ein bisschen arbeiten, dir ein nettes Mädchen suchen, mit ihr ans Meer fahren und solche Sachen. Oder dir wenigstens einen neuen Pullover kaufen, ohne Löcher an den Ellenbogen. Was hast du von diesem ganzen Losergehabe?«
»Losergehabe? Haha!« Er grinst böse. »Für einen Dichter ist das doch eher ein Kompliment. Wenn du mich damit treffen wolltest – das ging daneben. Arbeiten soll ich? Ich kann hier nicht einmal richtig atmen, und du fragst mich, was ich gegen dieses Regime habe. Wenn du und deinesgleichen nicht so kleinbürgerlich und vernagelt wärt, dann würdet
ihr verstehen, wohin der Zug fährt. Aber ihr steckt ja bloß den Kopf in den Sand.«
»Ach, Dichter bist du auch noch? Hast du mal was veröffentlicht? Oder schreibst du nur für dich selber? Weigert dieses kriminelle Regime sich etwa, dich zu veröffentlichen?«, spotte ich weiter.
»Wir beide sprechen nicht dieselbe Sprache. Die Aktionen des zivilen Ungehorsams, die wir als Patrioten heute durchführen, zernagen die Grundfesten des Regimes. Morgen schon werden hunderttausende Männer und Frauen in allen russischen Städten auf die Straße gehen. Wir stehen an der Schwelle zum Bürgerkrieg. Wenn es so weit ist, dann geht alles ganz einfach. Jetzt sitzen wir hier am selben Tisch und trinken, morgen stehen wir als Klassenfeinde auf unterschiedlichen Seiten der Barrikaden.«
»Also, Iwan, was die Männer angeht, bin ich einverstanden! Ich bezweifele zwar, dass es Hunderttausende sein werden, aber so um die Hundert werdet ihr schon zusammentreiben, vielleicht sogar Zweihundert! Aber Frauen? Wo wollt ihr so viele Frauen herkriegen?«
Da schiebt sich wieder die Tussi mit dem intelligenten Gesicht dazwischen. Sie reicht mir einige Computerausdrucke von der Internetseite der Nationalbolschewisten, auf denen einige mehr oder weniger attraktive und mehr oder weniger bekleidete Frauen unterschiedlichen Alters zu sehen sind. Die Headline der Blätter lautet: »Unsere Kampfgefährtinnen«.
»Bitte sehr«, sagt sie. »Nimm dir Zeit und genieße. Denke ja nicht, dass Frauen nichts anderes zu tun haben als in Clubs herumzuhängen. Wir sind schon viele. Mehr als du denkst.«
Sie lässt ihren Blick triumphierend durch die Runde wandern, als wäre sie die frisch gekrönte Königin dieser Polit-Party. Die Kumpanen schweigen, in ihren Gesichtern sieht man die Vorfreude auf das Gemetzel, das der kleine Politheld und die neue Klara Zetkin mit ihrem ideologischen Gegner gleich veranstalten werden. Ich betrachte aufmerksam die Fotos, und plötzlich bleibt mein Blick an einem Bild hängen: zwei Mädchen, die sich umarmen und kichernd in die Kamera schauen. Beide tragen Manschetten mit Hammer und Sichel um die Oberarme.
»Na und?« Ich versuche erst gar nicht, mein Lachen zurückzuhalten. »Mit fünfzehn hatte ich auch ein Faible für Uniformen und Nazisymbolik. Außerdem fand ich die SA-Sturmtruppen so schön schwulig! Wenn ich das richtig sehe, ist es den Mädels hier doch völlig egal, was sie spielen und auf was für einer Internetseite sie ihre Aktfotos ablegen. Bei Frauenwunder.ru oder bei eurer Natzbol. Erfüllen sie wenigstens ihre Funktionen?«
»Wie meinst du das?«, fragt sie misstrauisch. »Na ja, ich meine, als Wichsvorlage für eure Jungs. Du zum Beispiel, Iwan, du würdest doch bestimmt gern mal mit denen …?«
»Sehr witzig. Findest du deinen Zynismus eigentlich besonders cool?«, unterbricht er mich.
»Nee. Ich frage mich bloß, was passiert, wenn dieses nette Mädchen da – übrigens, bist du das auf dem Foto?« Sie schlägt die Augen nieder und sagt: »Das spielt doch keine Rolle.« »Also, wenn dieses Mädchen sich ernsthaft mit so einem netten Jungen wie dir zusammentut, der permanent zwischen verpasster Selbstverwirklichung, vorgetäuschten
literarischen Ambitionen und infantilen Revoluzzerspielen herumeiert, stellt sich doch sofort die Frage nach dem von euch so vielbesungenen Schicksal Russlands. Ich meine, aus der Perspektive des Genpools gesehen. Ich sage nur: Alkoholabhängigkeit,
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