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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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zusammengeschobenen Tischen
breitgemacht. Es gibt viel Wodka, viel Bier und wenig zu essen. Das ist zwar nicht sehr vernünftig, erklärt sich aber aus dem Fehlen der nötigen Mittel. Ein Pegasus ist eben kein Dukatenscheißer. Dass er bisweilen heftig austreten kann, sieht man indes an den demolierten Gesichtern derer, die schon etwas länger zu dieser literarischen Avantgarde gehören. Ich begrüße die Runde, schüttele ein paar Hände, man schiebt mir einen Stuhl hin, und ich setze mich. Als Erstes bestelle ich mir einen großen Whiskey, dann sehe ich mir an, wer alles so da ist.
    Die Mädchen in der Runde, es sind exakt drei an der Zahl, fangen sofort an, mich anzustarren. Ich lächele allen kumpelhaft zu, den Mädchen, wenn es geht, noch ein bisschen kumpelhafter. Eine von ihnen fragt mich, ob ich nächste Woche zu irgendeinem Konzert im Kulturhaus Gorbuschka gehe, und ich antworte, ich wisse es noch nicht, aber wahrscheinlich schon, und dann biete ich ihr Whiskey an. Darüber gerät der Typ neben ihr in Rage, der zwar schon hackebreit ist, aber noch einiges mit ihr vorhat. Auch sein Kumpel, der auf der anderen Seite neben mir sitzt, wird auf einmal unruhig. Die Tatsache, dass ich Whiskey trinke, verschärft die Lage natürlich noch, das allein gilt hier schon als Provokation. Die Tussi ist hässlich wie die Nacht und ziemlich fertig mit der Welt, deshalb bin ich für sie wohl eine Art Märchenprinz. Wenn man zusätzlich in Rechnung stellt, dass die beiden Typen, die sie abschleppen wollen, zwar schwer einen im Kahn haben, aber kaum Kohle in der Tasche, dann bin ich mindestens ein Doppelprinz. Diese kümmerlichen Proleten haben also nicht die geringste Chance. Andererseits, sie selbst auch nicht. Im Großen und Ganzen aber ist
meine Laune bestens, ich fühle mich eher amüsiert als gestresst. Nur um die Runde ein wenig aufzulockern, schlage ich allen vor, sich jetzt zügig volllaufen zu lassen – wofür ich stürmischen Beifall ernte.
    Die Gesellschaft teilt sich in drei Lager. Am Kopf der Tafel schlafen vier besoffene Literaten, um die sich sechs oder sieben noch nicht ganz volltrunkene Typen scharen; daneben die drei Weiber, die jetzt lautstark über Eduard Limonows Nationalbolschewistische Partei diskutieren, und schließlich sechs weitere Gestalten, die sich um einen jungen, vollschlanken Typen gruppiert haben. Dieser ist Träger eines klugen Gesichtes, einer runden Brille und eines kleinen Bärtchens. Gerade beendet er einen längeren Vortrag, gießt seinen Zuhörern aus einer Karaffe Wodka ein und sieht dann jedem forschend ins Gesicht. Ich nehme an, um die Wirkung seiner Rede zu taxieren.
    Auf dem Tisch liegt ein Computerausdruck mit Pamphleten der Nazbol-Partei. Ich lese die fettgedruckte Überschrift: »Das Wort des Führers«. Darunter ein paar Fotos. Einer aus der Gruppe, ein kahlgeschorener, schwarz gekleideter Typ, der eigentlich Iwan heißt, sich aber grundsätzlich Oparysch nennt, liest gerade vor:
    »Diejenigen, die mich für den Anführer einer Horde desorientierter minderjähriger Barbaren halten, möchte ich daran erinnern, dass ich ein Angehöriger der russischen Intelligenzija des revolutionären Typs bin, und dass ich mich in einer Reihe mit Radischtschew, Gerzen, Bakunin und Tschernischewski sehe … Mit einer gewissen Ironie würde ich sagen, dass ich nicht weniger intelligent bin als das Oberhaupt der Intelligenten, Grigori Alexejewitsch Jawlinski. Ja,
ich glaube sogar, als Autor von siebenunddreißig Bänden bin ich noch intelligenter als er. Und die Horde, die mir folgt, ist die junge Intelligenzija Russlands. Limonow, das ist das Einzige, was SIE nicht zertrampelt haben. Die Partei wächst, die Jugend rückt auf. Sogar die Presse kann uns nicht mehr ignorieren. Die Aktionen der Nationalbolschewisten haben diesen Sumpf der Journaille aufgerührt und zum Kochen gebracht. Seht her, wie sie sich auf uns stürzen, wie sie sich anbiedern! Denn allmählich wird diesen Aasgeiern klar, dass wir in naher Zukunft dem Volk das Land zurückgeben werden, das ihm gehört. Die Zustände in den Regionen sind ein reiner Alptraum. Dort sind die Willkür der Beamten und die Armut der Bevölkerung längst unerträglich geworden. Russland geht mit der Revolution schwanger. Nicht mehr lange, nur noch ein kleiner, winziger Schritt, und es ist so weit. Diese Interimsregierung wird hinweggefegt wie von einer Schlammlawine«, so rezitiert Oparysch.
    Die Wörter »Russland« und »Volk« spricht er mit

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