Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
große Computerspiel namens »Night People«.
Wenn Sie in dieses Spiel hineingeraten, müssen Sie immer daran denken, dass es nicht Ihre Welt ist. Nicht Ihre Party. Sie sind hier nur ein Spion. Ein Partysan. Und wenn Sie nicht vorhaben, einen Sabotageakt zu begehen, vielleicht mit dem Ziel, wenigstens einen Teil der Mumien in die menschliche Gemeinschaft zurückzuholen, sollten Sie sich nicht zu lange dort aufhalten. Sie riskieren, einer von ihnen zu werden.
Sie finden das aber prima? Was ist denn prima daran, sich als Held eines Computerspiels zu fühlen? Auch wenn es ein 3-D-Spiel ist?
3-D ist hier das einzig gültige Format. Das ganze Dasein der Mumien setzt sich aus drei großen »D« zusammen: Damen, Dollars, Dealer.
Die Dealer sind die Könige in diesem Spiel. Sie beherrschen alles. Man darf diese Dealer übrigens nicht mit gemeinen Drogenhändlern verwechseln. Ihre wesentliche Arbeit besteht vielmehr im Verkauf von Vergnügen mittels Zombifizierung der Szene durch Trendmagazine, Restaurants, Boutiquen, Clubs, Radio und Fernsehen.
Tag für Tag sagen sie den Mumien, dass alles in ihrem Dasein zu dem Zweck eingerichtet ist, möglichst viel Spaß zu haben. Man muss nur dieser Maxime der Dealer folgen, dann ist alles ganz einfach. Man trägt die Klamotten, die angesagt sind, kauft die Trendmagazine, die in die neue Handtasche passen, frequentiert die Restaurants, deren Namen kurz und leicht zu merken sind. Man muss nur genügend Platz im Kopf lassen, damit man die erforderlichen Werbeinformationen speichern kann, die die Dealer Nacht für Nacht im Fashion-TV verkünden. Alle anderen Arten von Information sind Dummheiten, die man aus seinem Hirn entfernen kann. Wenn Sie das schaffen, wird Ihr Leben wie die Speisekarte eines Edelrestaurants sein, aus der Sie nach Belieben wählen können. Die Speisekarte der Vergnügungen, so lang wie ein ganzes Leben – ist das nicht das Paradies auf Erden? Kann man da Nein sagen?
Diese Sorte von Dealern ist schlimmer als eine ganze Armee von Koksverkäufern. Ihre Drogen machen viel schneller abhängig, und es gibt keine Entziehungskur. Schon kürzeste Abstinenz erzeugt bei der Mumie grauenhafte Qualen. Nur solange sie in der Szene ist, wird sie mit Energie versorgt. Der Sinn der Szene besteht in sich selbst. Sie ist der Kompass und zugleich das einzige Koordinatensystem, mit dem du deinen Aufenthaltsort bestimmen kannst.
Jede noch so verheerende Naturkatastrophe, Tsunamis, Monsterflutwellen, Erdbeben, selbst der Zusammenstoß eines gigantischen Kometen mit der Erde wäre für die Mumien gar nichts im Vergleich mit der größten aller Katastrophen: wenn auf einen Schlag alle Restaurants und Schönheitssalons, alle Clubs und Modemagazine vom Erdboden verschwänden. Ihre Welt wäre weg, hätte sich aufgelöst wie der Zucker in ihrem Morgenespresso. Verschwunden all die Einfachheit und Bequemlichkeit des Systems, in dem man nicht denken muss, in dem man dir sagt, wohin du gehen und was du tun musst.
Es ist ja auch wirklich sehr bequem. Die männlichen Mumien fahren jede Nacht in festgelegte Lokale und verlassen sie mit weiblichen Mumien, die sie sich dort ausgesucht haben. Die weiblichen Mumien fahren jede Nacht in festgelegte Lokale und verlassen sie mit männlichen Mumien, von denen sie ausgesucht wurden. Das verbindende Element zwischen beiden ist das Geld.
Das Geld, das der Mumienmann dem Dealer in den Rachen wirft, der ihm ein protziges Auto verkauft, mit dem er dann bei den weiblichen Mumien Eindruck schindet.
Das Geld, das die weibliche Mumie von ihm annimmt, um es einem anderen Dealer in den Rachen zu werfen, der am nächsten Tag im Wellness-Salon ihr Äußeres wieder instand setzt oder ihr eine schicke Handtasche verkauft.
Die absurde Logik dieses Systems besteht darin, dass dieses Geld noch in derselben Nacht von den Dealern wieder zu denselben Männern zurückfließt, die den Dealern nun ihrerseits die Genehmigung zur Eröffnung eines neuen
Auto- oder Wellness-Salons verkaufen, oder zu den Mädchen, für deren Zuneigung sie tageweise zahlen müssen.
Das 3-D-System der Mumien stellt einen geschlossenen Kreislauf aus zirkulierenden Geldströmen dar. Er ähnelt dem Kreislauf des Wassers in der Natur, mit dem Unterschied, dass Letzterer der Erhaltung des Lebens dient, jener der Bekämpfung von Depressionen.
Die Depression wäre somit das vierte »D«, ein »D«, über das man nicht spricht. Man fürchtet dieses »D«, man flieht vor ihm, man verleugnet seine
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