Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
zum Thema Fußball. Ich hab früher in der X-Straße immer Hallenfußball gespielt, und genau da nämlich hat Putin als kleiner Junge Ringkampf trainiert …«
Mit den Fremdsprachen ist es noch einfacher. Jeder halbwegs intelligente Petersburger hat zufälligerweise seine Englischkurse an ein und derselben Schule besucht wie Wladimir Wladimirowitsch.
Zwar gibt es auch einige vom Schicksal benachteiligte Petersburger, die nicht direkt neben Putins Kindergarten gewohnt haben, nie Ringkampf trainiert oder irgendwo in einer No-Name-Schule am Stadtrand Englisch gelernt haben. Aber auch die sind selten um eine Lösung verlegen. Wenn du mit so einem Petersburger durch die Stadt läufst, erzählt er dir beispielsweise:
»Siehst du den Hauseingang da vorne? Da haben wir damals, im Jahre 1984, immer gesessen und Portwein gesoffen. Und einer von uns, der hatte eine Schwester, und die Schwester war mit einem Typen zusammen, und dieser Typ, mit dem die zusammen war, der hatte einen Freund, dessen Klassenkamerad später auf die Uni ging, und da war er in ein und derselben Studiengruppe mit einem anderen Typen, der im Pionierlager mal mit Putin Schach gespielt hat.«
Wenn diese Petersburger genug gebechert haben, lassen sie den Mittelteil auch mal weg und sagen einfach: »In diesem Hauseingang, da hab ich früher mal mit Putin Schach gespielt.«
Spinner, Punkt, SPB, Punkt, ru, Punkt, Enter.
»Klasse«, sage ich. »Er hat wirklich mit Putin zusammengearbeitet?«
»Hmhm. Allerdings nur kurz. Zwei Monate oder so, genau weiß ich es nicht mehr.«
»Dann könntest du ihm ja mal einen Gruß von mir bestellen, oder?«
»Na ja, wahrscheinlich erinnert er sich nicht mehr an mich, so gut kannte ich ihn auch wieder nicht.«
»Aber du hast dich an ihn erinnert.«
»Ich hab nun mal ein sehr gutes Gedächtnis. Wahrscheinlich Vererbung. Von meiner Mutter, weißt du?«
»Waren deine Eltern auch beim Geheimdienst? Zusammen mit Putin, zufälligerweise?«
»Wieso Geheimdienst?«, fragt Wolodja ehrlich erstaunt.
»Na, weil alle Geheimdienstler angeblich ein gutes Gedächtnis haben. Du hast doch gesagt, du hättest es geerbt. Muss ich mehr sagen?«
»Ah, hahaha!«, lacht Wolodja. »Nein. Meine Eltern waren im sowjetischen Handel tätig. Mein Vater Möbel, meine Mutter Lebensmittel.«
»Dann setzt du ja quasi die Familientradition fort. Ein würdiges Kind deiner Eltern, könnte man sagen, oder?«
»Wie meinst du das jetzt? Hab ich eigentlich nie drüber nachgedacht. Ha! Aber wahrscheinlich hast du Recht. Ich sollte zu Hause mal ein paar Witze ablassen.«
»Bestimmt hast du von klein auf alle Tricks mit der Muttermilch aufgesogen. Wie man Kunden am besten verarztet, richtig Umsatz macht und so, bisschen was am Staat vorbei in die eigene Tasche abzweigt. Heimsparring, oder?« Ich lächle Wolodja freundlich an. »So gehört es sich. Die Alten geben ihre Erfahrung an die nachfolgende Generation weiter.«
Der Salat wird gebracht. Wolodja macht sich gierig über seinen Teller her. Ich starre verträumt vor mich hin und streue statt Salz reichlich Pfeffer über meinen Salat. Ich schaue Wolodja an, der auf beiden Backen kaut und denke an die alte Volksweisheit: »Wer gut isst, arbeitet gut.« Demnach zu urteilen, müsste Wolodja ein guter Arbeiter sein.
»Tja, ein bisschen ist schon dran«, sagt er jetzt kauend. »Mein Vater hat mir erzählt, wie ihm mal so ein Grünschnabel von der ›Abteilung für den Kampf gegen den Diebstahl am sozialistischen Eigentum und Spekulation‹ auf der Pelle gesessen hat.«
Reizende Einleitung, denke ich bei mir. Jetzt frage ich mich nur, wie weit der Weg von diesem hübschen Eröffnungszug bis zum Schachmatt wohl sein dürfte?
»Und hat er ihn einbuchten lassen?«
»Mit so was scherzt man nicht!« Wolodja schaut von seinem Salat auf und spricht mit vollem Mund, weshalb seine Bemerkung ein wenig vermanscht klingt.
»Schon gut, Wolodja. Erzähl weiter. Was hat er denn angestellt, der Grünschnabel?«
»Gar nichts. Er ging bloß allen permanent auf den Senkel und versuchte mit den miesesten Tricks, meinem Alten Stress zu machen. Und dann, nach einem Jahr, stand er plötzlich vor seinem Schreibtisch und hat die Hand aufgehalten. Danach war alles in Ordnung. Sie sind heute noch gute Freunde.«
Das ist ja wirklich hochinteressant, denke ich. Dein Papa hat also ein volles Jahr gebraucht, bis er diesen Grünschnabel so weit hatte. Und du denkst, du kriegst mich innerhalb von drei Stunden klein, was?
»Tja,
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