Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
stelle den Pott dazu, um möglichst schnell aus der verwüsteten Küche zu verschwinden. Aber dann nehme ich den Pott wieder aus dem Becken, wasche ihn sorgfältig aus, trockne ihn mit Küchenkrepp ab und stelle ihn in den Schrank. Ich fühle mich jetzt wie ein Soldat eines militärischen Sonderkommandos, der inmitten eines brennenden polnischen Dorfes sorgfältig seinen Zigarettenstummel austritt, grunze zufrieden und gehe ins Zimmer, um mich anzuziehen.
Es gibt wenig auf dieser Welt, was so unangenehm ist wie das Gefühl, seine alten Klamotten von gestern auf der Haut zu spüren, zerknittert und formlos, vollgesogen mit Tabakund Marihuanarauch und dem Schweiß nächtlicher Diskussionen. Mit großem Widerwillen ziehe ich Hemd und Hose an, falte die Krawatte zusammen und stecke sie in die Innentasche meines Jacketts. Nach einem letzten Blick in den Flurspiegel verlasse ich die Wohnung. Ich habe ein irrsinniges Verlangen nach frischer Luft. Während ich die Treppen hinunterrenne, komme ich mir vor wie Odysseus, der unter dem Bauch eines Hammels aus Polyphems Höhle floh. Was Geruch und Intensität des Ekels angeht, sind die Situationen sicher vergleichbar. Ich zwinge mich, daran zu denken, dass mich schon bald meine Badewanne in die wohlige Umarmung rostiger Schäume nehmen wird. Im Erdgeschoss werfe ich Mischas Wohnungsschlüssel (den er vorsorglich in meinem Schuh deponiert hat) in den Briefkasten und stürze auf die Straße hinaus.
Innerhalb von Sekunden habe ich ein Taxi erwischt, und kaum eine Viertelstunde später liefert mich ein melancholischer kaukasischer Chauffeur in einem schrottreifen Wolga,
dessen Klappern nur von der lauten Sufi-Musik übertönt wird, vor dem Hotel ab. Ich gebe ihm einen Fünfzigrubelschein, er lässt ihn in seiner Brusttasche verschwinden, brummt, ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen, einen Gruß und rauscht ab. Hinter ihm bleibt eine Schwade aus beißendem blauen Dunst zurück. Auf dem Weg zu meinem Hotelzimmer zieht ein Gedanke über den Unterschied zwischen einheimischem und europäischem Benzin durch meinen Kopf. Nicht, dass ich mich besonders für die Themen der Öko-Bewegung interessiere, aber ich merke, dass sich unter meiner Schädeldecke gerade ein übler Schmerz breitmachen will.
Von meinem Zimmer aus rufe ich Guljakin an und mache mit ihm einen Termin für drei Uhr nachmittags aus. Dann schließe ich das Telefon ans Ladegerät an und verziehe mich schleunigst in die Badewanne. Ich strecke mich im warmen Wasser aus, glotze an die Decke, inspiziere meine Fingernägel, spiele Springbrunnen, philosophiere über Hotelbademäntel. Irgendwann muss ich wohl eingepennt sein, denn um zwei Uhr reißt mich das Klingeln meines Handys in die Wirklichkeit zurück. Ich hechte aus dem kalten Wasser und rase ins Zimmer.
»Hallo?«
»Ich bin’s, Alter, Vadim.«
»Grüß dich, Alter.«
»Bist du in Petersburg?«
»Hmhm.«
»Und was machst du gerade?«
»Ich bin müde.«
»Und was tust du dagegen?«
»Ich hab ein Date mit dem Direktor unserer Filiale, heute Nachmittag um drei.«
»Hör mal, Alter, das ist ja voll uncool, Alter.«
»Ist mir voll klar, Alter, aber es muss sein. Ich bin eben nur ein mickriger Befehlsempfänger, verstehst du? Von selber würde ich nie Juden die Goldzähne rausbrechen und ihre Latifundien enteignen. Ich tue nur, was man mir befiehlt, Alter.«
»Na gut, jetzt mal konkret: Ich bin auch in Petersburg.«
»Hahaha! Die Unzertrennlichen, was? Verfolgst du mich etwa? Bist du scharf auf mich, Kleiner?«
»Ich bin so heiß auf dich«, sagt er mit Teletubbistimme.
»Und was machst du in Petersburg?«
»Ich hänge auf einem beschissenen Kongress rum. Lauter ältliche Journalistenschranzen, vertrocknete Butterbrote und lauwarme Plörre, die sie hier Kaffee nennen. Ein paradiesisches Leben!«
»Und was machen wir heute Abend?«
»Keinen Schimmer. Wann macht denn die Eremitage zu? Hahaha!«
Wir lachen beide lange und herzlich, und ich fühle mich auf einmal entspannt und guter Dinge. Meine Müdigkeit verfliegt, und es scheint mir, als hätte ich Moskau überhaupt nicht verlassen.
»Sag mal, Vadim, wo wohnst du eigentlich gerade?«
»Im Newski Palace. Und du?«
»Ich auch.«
»Haben wir nicht Schwein?«
»Und wie. Hör mal, um acht im Hotel?«
»Wie wär’s um neun? Ich habe noch was zu erledigen.«
»Das kannst du doch auch im Hotel machen. Hahaha!«
»Blödmann! Also um neun, okay?«
»Okay. Albuquerque!«
»Deine öden Grunge-Witzchen
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