Seelenkuss / Roman
wollte er die letzten Fetzen seines Lebens aufs Spiel setzen.
Für Ashe, die ihn wieder Freude empfinden ließ.
Reynard erstarrte horchend. Da waren Schritte, weiche Sohlen auf kaltem Stein. Fast zu leise, als dass man sie hören konnte. Und sie bewegten sich sehr, sehr schnell.
Ehe er sich in die Schatten zurückziehen konnte, kam eine Gruppe von fünf Vampiren um die Ecke, die sich so geschmeidig bewegte wie ein Schwarm scharfzahniger Fische. Ihre bleichen Gesichter verschwammen in dem fahlen Licht, das ihre Augen wie von innen erleuchtet scheinen ließ. Sie blieben schlagartig stehen und starrten Reynard an.
Ein großer Rothaariger ragte in ihrer Mitte auf, und die anderen umgaben ihn wie eine Ehrengarde. Alle waren bewaffnet und sichtlich angeschlagen, als kämen sie direkt aus einer Schlacht. Einem prangte eine Wunde an der Schläfe, die bereits überkrustet war, aber ein Rinnsal getrockneten Blutes zeichnete sich auf seiner Wange ab.
Nun, das beantwortete die Frage, wer die Wachen von ihren Posten abgezogen hatte. Sie bildeten Suchtrupps, um diese Gruppe Eindringlinge aufzuspüren.
»Beiseite!«, knurrte der Rothaarige in der Mitte.
Ich wette, das ist Belenos!
Ein frostiges Lächeln trat auf Reynards Züge.
Eden schwieg, als sie neben Miru-kai durch die Grotten und fackelbeleuchteten Hallen der Burg lief. Tief in Gedanken, nahm sie kaum Notiz von ihrer Umgebung. Vielleicht hatte sie auch zu viel Angst und scherte sich deshalb nicht um dieses düstere Steingefängnis. Sie dachte wohl an ihre Großeltern.
Leider beinhaltete die Feenmagie nicht, dass man Worte zurücknehmen konnte, die man niemals hätte aussprechen dürfen. Der Prinz verfluchte sich.
Es war den Feen nicht ähnlich, sich um eines Menschen Gedanken zu sorgen, aber Miru-kai trug menschliches Blut in sich. Und das veranlasste ihn, über Dinge zu grübeln, die anderen Feen keinerlei Kummer bereiteten. Beispielsweise veränderte jedes Kind, das von den Feen entführt wurde, die Zukunft. Ihre Fäden fielen aus dem Gewebe der menschlichen Geschichte. Taten wurden nicht ausgeführt, künftige Kinder nicht geboren. Die Wirkung war so absolut, als hätten die Entführten ihr Leben verloren. Hatten die Feen ein Recht, solche Veränderungen im Muster herbeizuführen?
Im Moment wünschte Miru-kai, er wäre Fee genug, einfach das Mädchen zu packen und sich glücklich zu schätzen. Stattdessen zwang ihn sein rudimentäres Gewissen – ein höchst menschliches Attribut –, gut zu überlegen, was er tun sollte. Wie könnte er die Zukunft verändern, indem er sich in das Schicksal des Mädchens einmischte?
Er konnte ihr Unglück fühlen. Mitgefühl war etwas, das Simeon ihn gelehrt hatte, und nun konnte er es nicht mehr verdrängen. Die Luft um das Kind herum schrie förmlich, dass es unbedingt nach Hause wollte.
Wie waren die Menschen in der Lage zu leben, wenn sie sich fortwährend um die Gefühle anderer sorgen mussten? Das war ermüdend. Miru-kai konnte sich nicht unentwegt mit Gefühlen abgeben. Er musste mehrere tausend Monstren überwachen, was einen kühlen Kopf erforderte.
»Manchmal«, sagte er, »ist es schwierig, ein Prinz zu sein.«
»Warum?«, fragte Eden, und Miru-kai erschrak.
Er hatte nicht bemerkt, dass er laut ausgesprochen hatte, was er dachte. Er sah zu der Kleinen hinab und beschloss, seinem Gedanken zu Ende zu folgen. Zuhören und Rat geben: Darin waren menschliche Gefährten gut. Simeon hatte es für ihn getan.
»Ich war einst ein Pirat. Das bereitete weit mehr Vergnügen. Reichlich Räuberei und Schnaps.«
»Und warum machst du das nicht weiter?«
Miru-kai seufzte. »Die Feen sind schwach. Sie brauchten einen Anführer, und ich war ein Prinz. Dann kamen andere – Fehlwandler, Kobolde, die unerwünschten und hässlichen Arten, die niemand aufnehmen wollte.«
»Wieso willst du über sie herrschen und sonst keiner?«
»Weil ich verstehe, was sie brauchen.«
Miru-kai blieb stehen. Sie hatten eine große Höhle erreicht, die von Balkonen umringt war. In der Mitte befand sich ein dunkler Teich mit einem weißen, nach außen gewölbten Marmorrand. Das große Becken besaß die Form von Quadraten, die sich in einem geometrischen Muster überlappten. Anstelle von Fackeln brannten Feuer in den vier Ecken der Halle.
Sie hatte schon bessere Tage gesehen. Reihen von Steinbänken, von denen jedoch viele während der letzten Schlacht in der Burg zerbrochen worden waren, zogen sich an den Seiten zu einem überhängenden
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