Seelenkuss / Roman
zugestoßen? Angst und Neugier lockten Miru-kai an die Zellentür.
Das ist die Carver-Frau – und noch eine.
Das Timbre ihrer Stimmen war so ähnlich, dass der Prinz hätte wetten können, es handelte sich um die Carver-Schwestern. Er machte sie gleich am Ende des Korridors rechts von ihm aus.
Gedankenverloren griff Miru-kai nach einem der Gitterstäbe und beugte sich vor, um mehr sehen zu können. Der heftige Schmerz warf ihn zurück, und eine rote Schwellung bildete sich in seiner Hand.
»Bei Oberons Eiern!« Er umfasste das Handgelenk mit seiner anderen Hand und ächzte mit zusammengebissenen Zähnen. Schwerthiebe steckte er mit männlicher Stärke ein, aber Eisen schmerzte weit übler.
Er vergaß seine Qualen jedoch, als die Stimmen näher und an ihm vorbeikamen, denn nun konnte er sehen, was die große blonde Carver-Frau in den Händen hielt.
»Haben Sie Reynards Urne gefunden?«, platzte es aus Miru-kai heraus.
Die Frau drehte sich zu ihm und musterte ihn von oben bis unten. »Habe ich.«
Sie erinnerte ihn an eine Wildkatze, voller angespannter Energie und allzeit bereit loszuspringen.
»Sie sind Prinz Miru-kai. Der, der den Dämon freiließ, damit er diese Urne klaute. Der, der meine Tochter entführt hat.«
Ihr blasses, müdes Gesicht ähnelte einem Kaleidoskop brennender Gefühle – Angst, Triumph, Reue, Wut. Miru-kai wurde sich unangenehm gewahr, dass er einen Großteil dieser hitzigen Emotionen verschuldet hatte.
»Ich bin Miru-kai«, antwortete er und war erstaunlich froh über die Eisenstäbe zwischen sich und der Amazone. Er verneigte sich höflich.
Wieder starrte sie ihn an. Ihre leuchtend grünen Augen hielten seinen Blick ein bisschen zu lange. »Ich bin Ihnen nie begegnet, und doch haben Sie mein Leben auf den Kopf gestellt.«
»Das geschieht bisweilen, wenn Dunkelfeen das Leben eines anderen berühren.«
»Warum?« Ihr Ton verriet ihm, dass er der Frage nicht ausweichen sollte, sonst würde sie ihm das Genick brechen.
»Wir sind der Sturm, der alte Muster durchbricht.«
»Und Raum für etwas Neues schafft«, ergänzte ihre dunkelhaarige Schwester Holly.
Miru-kai verneigte sich wieder. Nur sehr wenige verstanden, welche Rolle den Feen auf der Welt zufiel. Die meisten bezeichneten sie schlicht als böse. »Ich nehme an, der Dämon wurde niedergeschlagen?«
»Zerstört. Und was von ihm übrig blieb, ist wieder in der Burg zurück«, antwortete Holly. »Aber es brauchte alles, was Reynard an Kraft besaß. Wir hoffen, dass er sich erholt, wenn wir ihm die Urne bringen.«
»Aha.« Nun begriff er den Blick in Ashes Augen.
Sie konnte den alten Fuchs retten, jedoch nur, um ihn an sein altes Leben zu verlieren. Er wäre auf ewig gefangen, stets ein Wächter in einem alten kalten Kerker.
Miru-kai wusste das eine oder andere über das Gefangensein.
Mac trat zu ihnen. In seinem engen schwarzen T-Shirt sah er massig aus. »Sie haben Reynard auf die Krankenstation gebracht«, informierte er die Frauen.
Es ist also ernst.
Miru-kais Gewissen regte sich, worüber Simeon gewiss jubiliert hätte. Schließlich war es zumindest teils Miru-kais Schuld, dass diese ganze erbärmliche Geschichte überhaupt ihren Lauf genommen hatte.
Ich werde um dich trauern, alter Fuchs.
Er dachte an Eden, die mit der reinen, unschuldigen Zuneigung eines Kindes auf Reynard zugelaufen war, und daran, dass manchmal die Webmuster einfach nicht die rechten zu sein schienen. Der Faden des Wächters war von Anfang an fehlerhaft gewesen.
Wir sind der Sturm, der alte Muster durchbricht.
»Dämon«, sprach er Mac an.
»Keine Zeit.« Mac wollte die Frauen an der Zellentür vorbeibugsieren.
»Wartet!«
Mac blieb stehen und drehte sich ungeduldig zu ihm um. »Was ist?«
Miru-kai sprach hastig, bevor Mac es sich anders überlegte. »Entsinnst du dich, dass ich versuchte, meinen Freund mit etwas aus dem Tresorraum zu heilen?«
»Und?«
»Hast du dir nie Gedanken gemacht, was es war oder warum?«
Ashe und Holly blickten ihn verwundert an, wohingegen Mac unverhohlen erbost war.
Miru-kai strich sich den Schnurrbart glatt und kehrte im Geiste wieder zu dem mutigen Kind zurück, das an sein Herz gerührt hatte. »Ich schlage dir einen Handel vor. Ich habe etwas anzubieten. Und ich kenne viele der Ordensgeheimnisse.«
Mac runzelte die Stirn. »Verarsch mich nicht!«
Es war Ashe, die als Erste begriff. »Göttin!«
Miru-kai lächelte verschlagen. Er amüsierte sich prächtig.
Die Opfer der Wachen – also das war ein
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