Seelenkuss / Roman
Blattgold. Den Eingang selbst bildete eine weitere schwarze Eisenpforte, so dick, dass sie einer ganzen Armee von Dieben hätte standhalten können. Was zweifelsohne den Grund dafür darstellte, weshalb Miru-kai sich brennend für die Kammer interessierte.
»Ich hatte keinen Schimmer, dass es das hier gibt«, gestand Mac. »Was ist das?«
»Eines der vielen Geheimnisse der Wachen«, antwortete Miru-kai mit der schwenkenden Handbewegung eines Schaustellers, der ein dreiköpfiges Kalb präsentiert. »Voilà, mein Dämonenfreund, eine Schatzkammer!«
»Schatzkammer? Ich habe das Sagen in diesem Laden, da sollte man eigentlich meinen, ich wüsste Bescheid«, brummelte Mac.
»Es ist nicht Angelegenheit der Burg«, entgegnete Reynard ruhig. Er umfasste seine Muskete fester, um zu verbergen, dass seine Hände zitterten. »Dies gehört den Wachen.«
Er drängte sich an Mac und Miru-kai vorbei zu dem Gitter. Es handelte sich um schmucklose Eisenstreben, die überkreuzt und fest in der Steinmauer verankert waren. Die oberen Enden waren zu Speerspitzen geschlagen. Gesichert war das Tor mit einem Schloss, so groß wie Reynards Faust und unbeschädigt. Er atmete erleichtert auf. »Hier wurde nichts gestohlen.«
»Sehen Sie genauer hin!« Miru-kai blickte ihn provozierend an. »Es liegt kein Staub auf dem Schloss, und der Schmutz auf dem Boden unterhalb der Pforte wurde unlängst verwischt, denke ich. Außerdem schauen Sie hier!«, fügte er hinzu, bückte sich und hob etwas Glänzendes auf. »Eine bemalte Tonscherbe, nicht? Die Ränder scheinen sauber und frisch, als wäre sie erst vor Stunden abgebrochen. Keine Spur vom Schmutz und Staub vieler Jahre.«
Reynard betrachtete die Scherbe. Wie das Symbol über der Tür zierten auch sie Muster aus Blattgold. Und diese Scherbe war ebenso bedeutungsvoll für die Wachen. Ein übelkeiterregender Zorn überkam Reynard, und er packte die Hand des Dunkelfeenprinzen so fest, dass er fühlte, wie sich die Knochen unter seinem Griff verschoben. »Weil Ihr es vielleicht selbst aufgebrochen habt? Wisst Ihr, was eine zerbrochene Urne bedeutet?«
»Nein, was?«, fragte Mac, den Reynard jedoch nicht beachtete.
Die Muskeln unter Miru-kais Augen spannten sich vor Schmerz an, und er bleckte seine vampirscharfen Zähne. »Ich war es nicht. Diese Tür ist mit Magie geschützt, wie Sie sehr wohl wissen. Ich kann weder über die Schwelle treten noch das Schloss aufbrechen. Nicht, solange die Zauber wirken.«
»Wer kam dann hinein?«
»Kakerlaken gelangen überallhin.«
»Eine Kakerlake soll die Urne zerbrochen haben?«
Miru-kai riss sich von Reynard los. »Mit den richtigen Anweisungen könnte sich ein niederer Dämon hineingeschlichen haben. Das war schon immer eine Schwäche der großen Zauberer und Hexer: Sie wirken Zauber, um mächtige Feinde abzuwehren, nicht aber die Dorfschurken.«
»Und vorher hat noch nie ein
Dorfschurke
probiert, das Schloss zu knacken?«, erkundigte Mac sich.
»Keiner mit dem richtigen Mentor.« Miru-kai zupfte verärgert an seiner Ärmelmanschette. Für einen langen Moment blickte er Reynard erbost in die Augen, dann wandte er sich ab. »Jeder Dieb hier hat es mindestens ein Mal versucht.«
»Folglich ist dieser Dieb klüger als ihr anderen.« Reynard zog kräftig an dem Schloss, doch es hielt. Wut und Angst ließen sein Blut schneller pulsieren, so dass es in seinen Ohren rauschte. Er drehte sein Gesicht erst wieder den anderen zu, als er sicher war, dass seine Miene kühl wie immer aussah. »Ihr habt gesagt, dieser Dieb sorgte für Ablenkung, indem er einen Phouka freiließ, und dachte sogar daran, diesen Raum hinter sich zu verschließen?«
»Gut geplant, nicht wahr? Und ohne mich hätten Sie diesen Vorfall gar nicht bemerkt.«
»Ich glaube Euch nicht«, widersprach Reynard. »Es ergibt keinen Sinn. Niemand käme auf den Gedanken, hier nach Dieben Ausschau zu halten. Wozu brauchte der Dieb dann eine Ablenkung?«
Mac verschränkte die Arme. »Warum erzählen Sie uns noch gleich von dem Raub? Weil wir so nette Jungs sind?«
Miru-kai lächelte. »Es könnte ein wenig beruflicher Neid im Spiel sein. Ich habe mich stets gefragt, welche Schätze hinter dieser Pforte Staub ansetzen.«
»Ich hätte getippt, dass Sie schon den Katalog besitzen«, entgegnete Mac leutselig. »Wenn diese Tür durch Zauber geschützt ist, wie kommen wir dann hinein, um nachzusehen, was gestohlen wurde?«
»Sie verwalten doch die Burg, nicht?«, fragte Miru-kai ihn. »Ich würde
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