Seelenkuss / Roman
meinen, dass Sie einen Generalschlüssel besitzen, der auch diese Tür öffnet. Gewöhnliche Burgschlüssel tun es nicht.«
»Woher wisst Ihr das?«, hakte Reynard nach. Es gab nur neun Schlüssel in der Burg, und er wusste, wo sich die meisten von ihnen befanden – wenn auch nicht alle.
»Es wurde bereits versucht«, antwortete Miru-kai. »Man braucht einen Generalschlüssel oder …«
Reynard wandte sich zu Mac und unterbrach den Prinzen. »Hast du ihn bei dir?« Leider konnte er den Anflug von Verzweiflung in seiner Stimme nicht vermeiden.
Macs Blick wanderte zu Miru-kai. »Bring ihn auf Abstand!«
Reynard hob seine Muskete mit einer Mischung aus Ungeduld und finsterer Befriedigung. »Geht den Korridor zurück, bis ich Euch sage, dass Ihr stehen bleiben sollt!«
Miru-kai hielt beide Hände in die Höhe und schnaubte empört. »Das also ist der Dank für meine Hilfe! Ich hätte Sie nicht für solch einen Flegel gehalten.«
»Los!«
Der Prinz drehte sich um und schritt langsam übertrieben weit aus, auf dass Reynard jeden seiner Schritte genau sehen konnte. Der Dunkelfeenprinz hatte sein Talent als Komiker vergeudet, aber Reynard war nicht nach Späßen zumute. Er hätte dem Prinzen mit Freuden in den Allerwertesten getreten.
»Weiter!«
Für einen winzigen Moment erhellte ein weißer Lichtblitz den Korridor. Die Magie in Macs Schlüssel hatte die Zauber gelöst. Reynard blinzelte die Tränen weg, die wegen des grellen Lichts in seinen Augen brannten.
Miru-kai wandte sich um. »Hat es funktioniert?«
Mac zog an dem Tor, das lautlos aufschwang. Die schwere Holztür dahinter gab einem Stoß der kräftigen Dämonenschulter nach. Reynard und Miru-kai eilten beide nach vorn.
In dem Raum warfen Fackeln denselben ewigen Dämmerschein wie überall sonst in der Burg. Reynard machte einen Schritt in die Kammer, bei dem seine Stiefel über das Marmormosaik schabten, das ein Muster aus hellen und dunklen Steinen bildete. Der Raum war achteckig, und aus den Winkeln zogen sich Steinrippen in das hohe Deckengewölbe über ihnen. Sämtliche Wände waren mit schmalen Steinregalen vom Boden bis zur Decke versehen, in denen Tonurnen standen.
»Was zum Henker ist das alles?«, flüsterte Mac. Die unheimliche Atmosphäre in der schattigen Kammer verlangte nach gesenkten Stimmen. »Und wieso wusste ich nichts hiervon?«
»Jede Urne enthält die Essenz von jemandem«, erklärte Miru-kai ruhig, der hinter ihnen in den Raum trat. »Ein Leben, eine Seele oder wie immer Sie es nennen wollen. Die alten Wachen hielten es geheim, weil das, was Sie in diesem Raum sehen, sie verwundbar macht.«
»Schweigt still!«, fuhr Reynard ihn wütend an, denn er fühlte sich plötzlich bloßgestellt. »Dieses Wissen ist Euch nicht bestimmt.«
Der Prinz achtete gar nicht auf ihn, sondern sah Mac an. »Als die Wächter – also die alten Wachen, nicht Ihre neuen Männer – in die Burg kamen, gaben sie ihre Seelen in Verwahrung, um sie zu schützen. Es machte sie unsterblich, kettete sie aber auch an ihre Pflicht. Deshalb können sie nicht mehr als ein, zwei Stunden außerhalb der Burg verbringen, ohne dass ihre Kräfte schwinden. Sind sie von ihrem Seelengefäß getrennt, beginnen sie zu sterben.«
»Warum?«, fragte Mac.
»Es handelt sich um ein recht durchdachtes System«, fuhr Miru-kai fort. »Mann und Urne müssen sich beide in der Burg befinden. Die Magie, die sie zusammenhält, verblasst in der Außenwelt, und binnen Wochen ist der Wächter tot. Weilt der Mann in einer Dimension, die Urne in einer anderen, verkürzt sich der Eintritt des Todes von Wochen auf Tage. Ich schlage vor, dass Sie tätig werden, Captain Reynard, und Ihren Topf suchen.«
Mac wurde rot vor Wut. »Wessen dämliche Idee war das?«
»Diejenigen, welche die Wachen schufen, wollten sich ihres Gehorsams versichern. Männer, die ihren Posten verlassen, siechen dahin.«
Mac drehte sich ungläubig zu Reynard. »Ernsthaft?«
Reynard nickte einmal steif. »Ich kam wie alle anderen in diese Kammer. Ich tat, was notwendig war. Es wurde von uns verlangt.«
Ein Gewitter braute sich in Macs Gesicht zusammen. »Wer hat das verlangt?«
Reynard wandte sich ab, schritt zu den Regalen und legte die Muskete auf einem Fach ab. Er schwitzte vor Panik, so dass sein Hemd ihm am Leib festklebte. »Es ist alles längst Vergangenheit.« Sein Ton signalisierte, dass er nicht darüber sprechen wollte.
Er wollte nicht einmal daran denken.
»Ich will wissen …«
»Sehen Sie«,
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