Seelenkuss / Roman
Königreiche und Armeen. Fortwährend wurde um Macht und Territorien gestritten. Widerlinge wurden zu Warlords, Warlords zu unbedeutenden Königen.
Die Wachen sorgten für Frieden, und dennoch gab es stets eine Handvoll gefährlicher Unruhestifter, die sich über die Regeln hinwegsetzten. An vorderster Stelle auf dieser Liste und doppelt unterstrichen rangierte jene Gestalt, die sich ihnen in diesem Moment näherte.
Sie schien keinerlei Eile zu haben, war männlich und groß, wenngleich nicht übermäßig, muskulös, aber nicht bullig. Der Mann sah wie Ende dreißig aus, dürfte indessen dabei gewesen sein, als König Arthur Excalibur aus dem Stein zog.
Reynard bezweifelte, dass ihr Gast auf Arthurs Seite gestanden hatte.
»Prinz Miru-kai«, sagte Mac ruhig.
Der Prinz blieb ein Dutzend Schritte entfernt stehen und verneigte sich.
»Hoheit«, begrüßte Reynard ihn höflich, obgleich seine Muskete nach wie vor auf die Mitte der Prinzenstirn zielte.
Der Prinz richtete sich wieder auf. Er war dunkel, hakennasig mit schwarzen Augen und einem geraden Schnauzbart. Sein schwarzes Haar trug er als langen Zopf mit Gold- und Silberfäden geflochten auf dem Rücken. Sein Gewand bestand aus roter, mit laufenden Hirschen bestickter Seide. Ein gebogenes Schwert hing an seiner Hüfte, und die scharlachroten Quasten an der Scheide wippten bei seinen Bewegungen. Wäre er menschlich gewesen, hätte man ihn für einen Türken, Magyaren oder sonstigen Angehörigen eines nomadischen Stammes aus jenen Ländern halten können, in denen das Christentum ehedem auf den Orient stieß.
Aber er war nicht menschlich. Er war eine Dunkelfee, gefährlich und unberechenbar.
Reynard ließ seine Muskete auf ihn gerichtet.
»Dämonenfürst«, setzte der Prinz an, »ich grüße Sie. Und Sie auch, Captain.«
Seine Stimme klang weich, höflich, gebildet. Niemand hätte vermutet, dass es sich um den gefährlichsten Warlord in der ganzen Burg handelte. Miru-kai war nicht bloß skrupellos, sondern überdies ein Meister in der Kriegsführung und Zauberkunst.
»Ihr werdet nicht begleitet«, bemerkte Reynard. »Mir deucht, es ist das erste Mal, dass ich Euch allein sehe.«
Vielleicht kann ich dich sogar umbringen.
»Meine Begleiter gebärden sich bisweilen übermäßig reizbar, was mir heute nicht hilfreich erschien. Ich bitte um ein Friedensgespräch.«
Eine solche Bitte verlangte nach Honorierung. Reynards Muskeln schmerzten vor Widerwillen, als er seine Muskete herunternahm. »Ihr werdet mich hoffentlich nicht bereuen lassen, dass ich das Fairplay achtete.«
»Aber, Captain, Sie sind der Inbegriff vornehmen Betragens. Fairplay ist es, was Ihr grimmiges Gemüt erhellt.«
Reynard wurde skeptisch. »Um eine moderne Wendung zu benutzen: Fairplay nervt.«
Miru-kai lachte, so dass seine weißen Zähne einen grellen Schlitz in seinem dunklen Gesicht bildeten. »Niemals werde ich Ihrer überdrüssig, alter Fuchs!«
»Was wollen Sie?«, fragte Mac, bevor Reynard es sich anders überlegen konnte und dem sarkastischen Prinzen eine Musketenkugel verpasste.
Miru-kai verneigte sich abermals. »Ich hörte, die Pforte wurde aufgebrochen, und eine Kreatur ist entkommen.«
»Wir haben sie gefangen und zurückgebracht«, erwiderte Mac und verschränkte seine Arme vor dem Oberkörper. »Und?«
»Das ist gut. Die Phouka sind gefährlich.«
»Finden Sie?«
»Sie entstammen dem Feenkönigreich und gehören nicht in diese Welt. Es ist nicht ihr Verschulden, dass Menschen süß für sie schmecken. Vielmehr hätten sie längst in ihr richtiges Zuhause zurückgeschafft werden müssen.«
»Und warum wurden sie es nicht?«, gab Mac zurück.
Miru-kai bedachte ihn mit einem Lächeln, das nichts preisgab. »Sollten Sie eine Karte finden, die zu jener Tür führt, lassen Sie es mich wissen. Wir von den Feen überanstrengen unsere Augen auf der Suche nach dem Sommerland seit Anbeginn der menschlichen Herrschaft.«
»Ihr seid eine Dunkelfee«, erwiderte Reynard.
»Was mein Heimweh nicht lindert«, entgegnete Miru-kai. »Das zu besprechen, sind wir jedoch nicht hier. Ich habe Leben im Wind gerochen. Und ich sah Moos neben dem Wasser und weiß, dass in Bälde Gras unter meinen Füßen wachsen wird. Die Burg erwacht, was bedeutet, dass sich die Webmuster des Universums verändern.«
Mac zog die Brauen hoch, als wartete er auf die Pointe.
Der Prinz schien ungeduldig. »Sie opferten vieles, um die Burg wieder lebendig zu machen. Als Dank für alles, was Sie taten, biete
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