Seelenkuss / Roman
nach Fairview zog. Er sah aus wie ein Mutti-Auto, besaß mehr Airbags als eine Rolle Luftpolsterfolie, aber man konnte hinten immer noch eine gewaltige Ladung Waffen unterbringen. Und der Innenraum bot sogar kleine Seitenfächer für Einkäufe, so dass sie nicht durch den Wagen purzelten. Trotzdem passte dieses Auto absolut nicht zu ihr. Die Wendigkeit entsprach einer Kräckerpackung auf Rädern.
Find dich damit ab! Werde erwachsen!
Die Autoschlange bewegte sich vorwärts, und Ashe bog an den Straßenrand. Wie ein fettes träges Kutschpferd kam der Vue zum Stehen. Ashe neigte den Kopf und suchte die Menge wartender Kinder ab. Kleine Regenschirme in Pastellfarben und Karomustern verdeckten die meisten Gesichter, also orientierte sie sich an Größe und Kleidung. Eden war klein für ihr Alter, ein Wildfang, allerdings sehr zierlich. Genau so war Ashe gewesen, bis sie dreizehn wurde und in einem einzigen Sommer fast achtzehn Zentimeter wuchs. Es bestand kein Zweifel, dass Eden nach ihr schlug, bis hin zu dem trotzig spitzen Kinn.
Dort stand Eden in ihrer Jeansjacke und der schwarzen Tarnhose, ihren MP 3-Player in der einen, den Rucksack in der anderen Hand. Allein, durchnässt und mürrisch. Ja, das war eindeutig Ashes Tochter! Angesichts des Dramas, das sich in dieser zarten Gestalt ballte, musste Ashe unweigerlich schmunzeln. Ihr kleines süßes Goth-Mädchen!
Ein Bild tauchte in Ashes Kopf auf: Roberto, der mit Eden auf seiner Brust schlief, als sie noch ein Baby war. Als er noch lebte. Sie schluckte und fragte sich, was er heute von Eden halten würde, was sie zusammen unternehmen könnten, Vater und Tochter. Eden war klug und wuchs so schnell, wobei ihr Verhalten fortwährend zwischen dem eines angehenden Teenagers und dem eines Kindes changierte. »Schwieriges Alter« war eine glatte Untertreibung!
Ashe ließ das Seitenfenster herunter, um nach Eden zu rufen, und ein Schwall kalter feuchter Luft blies in den Wagen. »Einsteigen, Sportsfreundchen!«
Ihre Tochter kletterte auf die Rückbank, wo sie ihren Rucksack auf den Platz neben sich warf. Kein Blickkontakt.
Ashe hörte die blecherne Rapperstimme, die aus Edens Kopfhörer drang, als würde sich dort drinnen ein mückengroßer Gangsta befinden. Wann hatte Mr. Bad Bug Man es auf Edens Playlist geschafft? Erst vorgestern Abend hatte Ashe den MP 3-Player kontrolliert. Folglich hoffte sie nun für Mr. Bug, dass er gerade einen sauberen Monat hatte, denn sonst würde er gleich wieder gelöscht werden.
Ashe kurbelte das Fenster wieder hoch, um den Regen auszusperren, und beobachtete ihre Tochter im Rückspiegel. Eden hatte einen hellen Teint mit blassen Sommersprossen, genau wie Ashe, aber ihr Haar war braun, und ihre Augen besaßen die Farbe von Schokolade. Die stammten von Roberto.
»Kopfhörer raus im Wagen!«
»Dschingis Khan.«
»Und ob!«, spottete Ashe munter und legte den Gang ein. »Nenn mich Dschingis Mom! Ich bringe dich jetzt nach Hause zu deiner täglichen Ration an Wasser und Brot, dann sperr ich dich in den Keller und lass die Ratten an dir knabbern. Das wird ein Spaß!«
Seufzend rollte Eden ihren Kopf an der Rücklehne hin und her, was Ashe an Opfer von besonders heftigen Vampirattacken erinnerte. Bei diesem Gedanken wurde ihr eiskalt, auch wenn sie beharrlich weiterlächelte.
Dann richtete Eden sich ein wenig auf. »Du bist ja so schick.«
»Ich war bei einem Anwalt. Langweiliges Erwachsenenzeug. Wie war die Schule?«
»Blöd.« Standardantwort.
»Inwiefern blöd? Blöde andere Schüler oder blöde Lehrer?«
»Die Schule ist überhaupt doof. Die ganzen Kurse hatte ich schon an der Saint Flo. Es ist langweilig, total laaaangweilig. Ich will wieder zurück. Ich habe ja erst ein paar Monate verpasst, die hol ich ganz schnell wieder auf.«
Ashe verstand sie. Das Internat hatten Schüler aus allen Ecken und Winkeln der Welt besucht, und das Lehrangebot war herausragend. Dort lehrte man die Schüler, sich von der Masse abzuheben, nicht, sich anzugleichen. Sich danach auf eine reguläre Schule umzustellen war nicht einfach. »Würdest du Grandma und Tante Holly nicht vermissen, wenn du zurückgehst?«
Eden zuckte mit den Schultern und spielte an ihrem MP 3-Player. »Doch, schon.«
»Aber dir fehlen auch deine Freunde, nicht?«, bohrte Ashe sanft nach. »Das begreife ich.« Sie blinkte und bog vorsichtig in den Verkehr ein. Eine der anderen Mütter winkte. Ashe erwiderte mit einem strahlenden Lächeln.
Siehst du, dieses Mom-Ding ist gar
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