Seelenkuss / Roman
Kleidung von gestern verstreut – immerhin nicht die der ganzen letzten Woche. Ansonsten konnte Ashe nichts entdecken, was einer Mutter Sorge bereiten sollte.
Noch nicht. Sie fragte sich, wie lange es dauern würde, bis die Boygroups von den Wänden verschwanden und an ihrer Stelle jemand weniger Nettes erschien. Schwer zu sagen, was einer Miniphase angehörte und was blieb.
Eden lag bäuchlings auf ihrem Bett und zupfte am Riemen ihres Rucksacks. Als Ashe sich zu ihr auf die Bettkante setzte, stieg ihr der Duftmix aus Klassenraum und Pfefferminz entgegen, der allen Sachen ihrer Tochter anhaftete. Sofort verpufften sämtliche negativen Emotionen. Sie legte eine Hand auf Edens Kopf und strich ihr über die weichen braunen Locken.
Göttin, ich liebe sie so sehr!
Dann holte sie tief Luft. »Ich hatte dich weggeschickt, weil ich dich nicht beschützen konnte, und das tut mir sehr leid. Aber hätte ich die Arbeit nicht gemacht, wie ich es tat, wären eine Menge Menschen gestorben. Das konnte ich nicht geschehen lassen. Mehr kann ich dir dazu eigentlich nicht sagen.«
Eden zog die Schultern hoch und wich zur Seite, weg von der Hand ihrer Mutter. »Sterben denn jetzt nicht Leute, weil du keine Jägerin mehr bist?«
Ashe nahm ihre Hand zurück. »Vielleicht, aber manches hat sich geändert. Die Vampire und die anderen Monster bewegen sich seit einigen Jahren frei. Sie haben eine Art eigene Polizei eingerichtet, die es früher nicht gab. Und die guten Vampire wollen ebenso wenig, dass die bösen Probleme machen, wie wir.«
»Wieso nicht?« Eden hörte auf, an ihrem Rucksack zu zupfen, und hörte richtig zu.
»Sie versuchen, sich in die Gesellschaft einzufügen. Es ist nicht einfach, immer im Verborgenen zu leben, vor allem nicht, weil sie so viele sind. Und solange die Vampire sich benehmen, bekommen sie Jobs, kriegen Kreditkarten und genießen alle Vorteile, die Menschen haben. Es lohnt sich für sie, brave Bürger zu sein.«
Endlich drehte Eden sich zu ihr und sah Ashe an. »Ist Onkel Sandro ein guter Vampir?«
»Ja«, seufzte Ashe, die daran dachte, wie oft sie mit Alessandro Caravelli aneinandergerasselt war. »Das ist er. Zuerst mochte ich ihn nicht, aber er hat mir bewiesen, dass er in Ordnung ist.«
Eden nickte bedächtig, während Ashe ihr ansah, wie es in ihr arbeitete. Dann stützte ihre Tochter ihren Kopf auf einen Ellbogen. »Also, Onkel Sandro ist mit Tante Holly zusammen, und sie ist eine supermächtige Hexe und hat ihn mit einem Antibeißzauber belegt und so, und sie haben sogar ein Baby, obwohl Vampire eigentlich keine kriegen können, richtig?«
»Äh, stimmt.«
»Und ich bin später auch mal eine Halbhexe.«
»Die bist du jetzt schon. Bald wirst du merken, welche Kräfte du besitzt. Du hast das Alter erreicht.«
Ein Anflug von Begeisterung huschte über Edens Gesichtszüge, doch sie schwieg. Ashe wusste, dass ihre Tochter eine Million Fragen hatte, die sie ihr später stellen würde – sobald sie über alles nachgegrübelt und ihren Angriff geplant hatte. Ja, Eden dürfte eine große Zukunft als Staatsanwältin blühen.
Vorerst indessen klagte sie einzig ihre Mutter an. »Und wieso machst du nichts mit Magie? Ich weiß, dass du Geister und so Zeug fühlen kannst, aber warum zauberst du nicht wie Tante Holly?«
Mist!
Ashe rang sich ein Lächeln ab, als wäre ihr das Thema kein bisschen zuwider. »Das habe ich dir doch erklärt. Mit sechzehn wirkte ich einen total blöden Zauber und sprengte damit meine Kräfte. Fast hätte ich Hollys auch noch vernichtet. Sie hatte sehr lange Zeit Schwierigkeiten mit ihrer Magie.«
»Was war das für ein Zauber?«
Ashe schluckte. Die Erinnerung wirkte wie ein bleiernes Gewicht, das sie herunterzog. »Ein durch und durch egoistischer. Es heißt, dass man nie rein zum eigenen Nutzen zaubern darf, was nicht ganz stimmt. Eigentlich müsste es heißen, dass man aufpasst, was man mit seiner Magie anderen Menschen antut. Die oberste Regel lautet, niemandem zu schaden. Ich habe aus den falschen Gründen schrecklichen Schaden angerichtet, und das rächte sich fürchterlich.«
Wenn auch nicht so fürchterlich, wie ich es verdient gehabt hätte.
»Hast du Mist gebaut?«
»O ja! Ich habe alle enttäuscht – jedenfalls die, die mich mochten und für halbwegs vernünftig hielten. Wie sich herausstellte, war ich ein viel schlechterer Mensch, als sie alle dachten, und ehrlich gesagt war das das Schlimmste. Ich musste lernen, mit dem zu leben, was ich getan
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