Seelenkuss / Roman
sorgfältig ab. Nervös blickte Ashe auf die Wand hinter ihm und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Sie hatte noch nie verstanden, wieso Leute die Hände rangen … bis heute. Welche Ironie, dass ihre Familie eine solche Macht besaß, ihre Magie jedoch nichts gegen das Gesetz ausrichten konnte!
Im Schatten zwischen Wand und Fenster bewegte sich etwas, wahrscheinlich eine kleine Wolke, die sich vor die Sonne schob. Ashe folgte ihr mit den Augen, denn automatisch regte sich ihr Jagdinstinkt.
Unterdessen war ihr bewusstes Denken damit beschäftigt, wegen der Worte des Anwalts in große Panik zu geraten.
»Als Erstes müssen Sie eine anständige Wohnung vorweisen, die alles bietet, was Eden braucht: ihr eigenes Zimmer, eine akzeptable Schule in der Nähe, angemessene Kleidung.«
»Haben wir alles.« Ashe achtete inzwischen mehr auf den Schatten, der die Wand hinabglitt wie ein Farbtropfen.
Was zur Hölle ist das?
Bannerman bekam nichts mit. »Wie gewöhnt Ihre Tochter sich ein?«
»Sie vermisst ihre Freundinnen von der alten Schule, aber ihre Noten sind gut.« Ashe blinzelte, weil sie nicht sicher war, ob ihre Augen sie täuschten. Stress löste bisweilen merkwürdige Dinge aus.
»Sie brauchen einen normalen Job. Zeigen Sie, dass Sie auf altmodische Weise für Essen auf dem Tisch sorgen.«
»Ist schon geschehen.« Sie schleppte Bücher in der örtlichen Leihbücherei, aber immerhin.
»Gut. Haben Sie Unterstützung in Fairview?«
Von Ashes Warte aus schien der Tropfen hinter Bannermans rechter Schulter zu sein. Er wurde größer, gewann an Masse.
Hier stimmt was nicht!
Ashe verlagerte ihre Sitzposition und ihr Gewicht, falls sie sich schnell bewegen musste.
»Ist Ihnen die Bedeutung von alldem klar, Miss Carver?« Die Ungeduld in Bannermans Tonfall war nicht zu überhören.
Sofort konzentrierte Ashe sich wieder auf ihn. »Meine Großmutter wohnt hier, genau wie meine Schwester Holly. Sie hat einen festen Partner und gerade ein Baby bekommen.«
»Alessandro Caravellis Kind«, ergänzte Bannerman resigniert. »Ihn zum Schwager zu haben ist nicht gerade ein Pluspunkt.«
Die Sonne kam hinter einer Wolke hervor und erhellte den Raum. Nun konnte Ashe erkennen, dass das, was die Wand hinunterkroch, glitzernd blaugrün war. Es ähnelte der Pampe, die Eden im Kunstunterricht benutzte.
Nur dass diese Pampe hier nebenbei tödlich war.
Ashe sah wieder zum Anwalt, dann erneut zur Wand. »Caravelli ist ein netter Mann.«
»Caravelli ist ein Vampir«, korrigierte Bannerman. »Was Ihren Fall betrifft, ist er eine Belastung.«
»Wir können uns unsere angeheirateten Verwandten nicht aussuchen. Fragen Sie die de Larrochas!« Sie stand auf und kickte ihre Pumps weg. Sie hasste diese verfluchten Absätze! »Haben Sie Geister in dieser Gegend? Oder Dämonen?«
Bannerman drehte sich mit seinem Stuhl und versuchte zu sehen, was Ashe anstarrte. »Wovon reden Sie?«
»Von dem da.« Sie zeigte hin. Der Tropfen hatte eben den Boden erreicht und floss träge über den Teppich wie schmelzende Eiskrem. Ein weiterer Tropfen bildete sich nahe der Zimmerdecke. »Ektoplasma.«
Der zweite Tropfen floss schneller, glitschte gleich einem Kleinkind auf einer Rutsche die Wand hinab. Mit einem Plopp landete er auf der vorherigen Pfütze und waberte ein Stück weiter auf den taubengrauen Teppich. Sonnenlicht tanzte an den Rändern der Lache und warf Regenbogen an Wand und Decke.
Sobald die Strahlen sie erwärmte, verströmte die Pampe einen Gestank nach sehr vergammeltem Schweinefleisch.
Der Anwalt sprang auf und ging auf die Pfütze zu. »Was in aller Welt ist das?«
»Nicht anfassen!«, warnte Ashe ihn. »Es kann Sie krank machen.«
Entsetzt und angewidert wandte er sich zu ihr um. »Ausgeschlossen! Etwas muss Ihnen hierher gefolgt sein. Wir haben keinen Schleim bei Bannerman, Wishart und Yee!«
Ashe biss sich auf die Zunge. Es gab entschieden zu viele Witze über Rechtsanwälte. Sie zog sich ihre wollweiße Kostümjacke aus und faltete sie ordentlich über die Stuhllehne. Bannermans ungläubiges Starren ignorierend, schnappte Ashe sich den Stift von seinem Schreibtisch und drängte sich an ihm vorbei in die Ecke. Dort tunkte sie die Spitze in die Pampe, wickelte sie auf wie Honig auf einen Löffel und hob den Klumpen ins Licht hoch, wobei sie sorgsam darauf achtete, nichts auf ihren frisch gereinigten Rock zu kleckern.
Das blaugrüne Gel enthielt festere Klumpen. Geisterektoplasma hingegen enthielt keine Einschlüsse. Dies hier war
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