Seelenkuss / Roman
Reynards Kopf in ihrem Schoß gehalten hatte. Keiner hatte gewusst, ob er überlebte, und sie versorgte ihn aus purem Trotz, wollte unbedingt, dass er gegen alle Unbill durchhielt. Sie hatte noch nie einen Mann gesehen, der sich so an seine Courage klammerte.
Ashe umfing ihre Ellbogen, als könnten sie jederzeit auseinanderfliegen. »Also, was ist los?«
Er hörte auf, seine Augen zu reiben, und blinzelte zu ihr auf. Der wässrige Blick vernichtete natürlich das Bild vom harten Kerl. »Ich entschuldige mich für die Störung.«
Ashe zog einen Stuhl vor und setzte sich. »Es muss wichtig sein, sonst wären Sie nicht gekommen.«
Schweigend saß er da, die Hände auf den Knien und den Kopf gesenkt.
»Mehr Häschenprobleme?«, half sie ihm auf die Sprünge.
Wenn sie nicht alles täuschte, sah sie den Anflug eines Schmunzelns, ein bloßes Zucken der Mundwinkel. »Ein Dieb entkam aus meiner Welt in Ihre. Und auch wenn ich nicht sicher bin, wie es zusammenpasst, der Phouka wurde absichtlich freigelassen.«
Ashes Blick verharrte auf seinem Mund. In einem Gesicht, das so kantig und hart war, wirkten diese Lippen wie für sinnliche Momente geschaffen.
Schluss damit! Hier geht es um ernste Angelegenheiten.
Sie räusperte sich. »Aha. Ich dachte, der Phouka hätte mit unserem einsamen Vampirheckenschützen zu tun.«
»Mein
Informant
«, Reynard sprach das Wort aus, als handelte es sich um pure Säure, »ist ein Prinz der Dunkelfeen. Mich würde nicht verwundern, sollte der Vampir-Meuchelmörder sowohl mit dem Phouka als auch dem Dieb gemeinsame Sache machen. Wenn man es mit Miru-kai zu tun hat, ist es, als suchte man eine Tür in einem Spiegelsaal. Alles wird zur Spiegelung des Vorhandenen, doch findet man nichts, es sei denn, das Glück selbst eilt zu Hilfe.«
»Wir haben es also mit einem hoppelfreilassenden, killeranheuernden Dieb zu tun?«
»Mag sein. Ich nehme einzig an, dass es eine Verbindung gibt. Miru-kai deutete einen Sammler in Ihrer Welt an. Sollte es einen solchen geben, hätte er den Dieb angeheuert. Und was die zeitliche Abfolge betrifft, sofern ich sie nachzuvollziehen vermochte, handelt es sich bei besagtem Dieb um einen Dämon, der entkam und seinen Diebstahl mehrere Tage vor dem Zwischenfall mit dem Phouka und dem Meuchelmörder beging.«
Jetzt wurde es kompliziert. »Was wurde denn gestohlen?«
Reynards Gesichtszüge waren bemüht neutral, auch wenn sich an den Rändern der Beherrschtheit Panik zeigte. »Es ist schwer zu erklären, doch ich will es versuchen.«
Ashe hörte zu, und ihr Jagdinstinkt geriet in höchste Alarmbereitschaft, während Reynard sprach.
Was zum Geier erzählte er da?
Aber sie konnte die Anspannung in seiner Stimme hören. Und die, mehr als alles andere, machte seine verrückte Geschichte glaubwürdig.
Nachdem er fertig war, saß sie eine Weile sprachlos da, unfähig, irgendetwas zu sagen, das ihm hätte helfen können.
Welche oberbekloppte Idee hat die überhaupt darauf gebracht, dass sie ihre Seelen in Vasen stecken?
Also kam sie mit dem heraus, was ihr als Erstes einfiel. »Wenn Ihre Seele, oder was auch immer, irgendwo hier in meiner Welt ist, heißt das doch, dass Sie nicht mehr an die Burg gebunden sind, oder nicht?«
»Nicht ganz. Gewöhnliche Gefangene können die Burg verlassen und ihr Leben weiterführen, frei von der Burgmagie. Wächter nicht. Zum einen beginnt die Magie, sich aufzulösen, die unseren Körpern gestattet, losgelöst von unserer Essenz zu überleben, sobald wir jene Dimension verlassen. Zum anderen dürfen wir uns nicht zu weit von dem Gefäß entfernen, in dem unsere Lebensessenz aufbewahrt wird, sonst verfallen wir«, erklärte er kühl.
»Verfallen?«
»Wir sterben. Anders ausgedrückt: Ich muss meine Urne finden und schnellstmöglich in die Burg zurückkehren.«
Sterben.
Es traf Ashe wie ein Fausthieb in den Magen. Doch sie überspielte ihren Schock mit kalter Sachlichkeit. »Wie viel Zeit haben Sie?«
Reynard zuckte mit einer Schulter, verzog aber keine Miene. »Ich weiß es nicht. Ich fühle, dass meine Urne fort ist, als würde ich mich an etwas erinnern wollen, das mir nicht einfallen will. Ein seltsames Bohren in meinem Denken, mehr nicht.« Er winkte ab. »Vermutlich wird es mit der Zeit schlimmer. Außerhalb der Burg zu sein, hilft mir. Wenigstens befinde ich mich hier im selben Reich wie meine Seele.«
»Das tut mir leid«, murmelte Ashe.
Göttin, war das lahm!
»Was kann ich tun?«
»Ich habe gehofft, dass Sie mir Hilfe
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