Seelenkuss / Roman
kantigen Unterton.
Komischerweise hatte er eine Sonnenbrille auf. Das und die Tatsache, dass er hinter dem Piraten stand, war der Grund, weshalb Ashe ihn nicht erkannt hatte. »Was tun Sie hier?«
»Ich benötige Ihre Hilfe.« Er wandte sich zu Legolas um, dem barbrüstigen Muskelpaket. »Was sind dies hier für Dinge?«
»Lockmittel. Alle Bücherei- und Buchladenmitarbeiter hoffen, dass irgendwann die Echten auftauchen.«
Reynard wirkte verwirrt, wenngleich ein wenig amüsiert. »Verteilen Sie deshalb Essen auf dem Fußboden? Ich wusste gar nicht, dass Männer ohne Hemden in Mode sind.«
Ashe ignorierte diese Bemerkung und schloss auf. Wie alle Ladenfronten im Einkaufszentrum bestand auch die der Bücherei aus einzelnen Glasstreifen, die im Ziehharmonikaprinzip zusammen- und beiseitegeschoben wurden, so dass sie in einem Wandhohlraum verschwanden. Das Geklapper hallte durch den leeren Restaurationsbereich. Derweil beobachtete Reynard alles interessiert und sichtlich fasziniert von dem Zugmechanismus.
Tja, Jungs und mechanischer Kram! Muss einige Generationen zurückreichen.
»Kommen Sie rein!«, forderte Ashe ihn auf, stellte ihren Kaffeebecher auf den Empfangstresen und schaltete die Deckenbeleuchtung ein.
Als sie sich zu ihrem Besucher umdrehte, erstarrte sie, denn auf einmal kribbelten ihre Handinnenflächen, als hätte sie ein unisoliertes Stromkabel angefasst. Sie griff nach ihrem Becher und nippte daran, um nicht dazustehen wie der letzte Idiot. Zum ersten Mal sah sie Reynard in richtigem Licht, und selbst mit der Sonnenbrille wirkte er absolut umwerfend.
Denk nicht mal dran!
Sie war nicht auf der Suche nach einem Mann. Nach ihrem Traum letzte Nacht war eindeutig klar, dass sie noch nicht bereit war. Dennoch konnte sie nichts gegen das hier tun. Es gab keine Bedrohung, die sie ablenkte, wie im Botanischen Garten. Sie konnte ihre gesamte Aufmerksamkeit dieser atemberaubenden Erscheinung widmen. Und der Akzent …
Nicht zu vergessen, dass sie einsam war. Das hatte sie sich selbst erst vor Sekunden gesagt.
Ashe wollte Reynard auf den Rückgabetresen werfen und, nun ja, wieder ins System aufnehmen. Ihn als Leihgabe austragen, den Rücken durchbiegen, die Seiten durchblättern. Keine Frage, sie war schon eine ganze Weile allein, aber es bedurfte schon eines sehr heißen Mannes, um sie scharf zu machen, ehe sie ihren ersten Kaffee getrunken hatte.
Er nahm die Sonnenbrille ab und blinzelte in dem grellen Licht. Sofort setzte er sich die Brille wieder auf. »Ich bitte um Verzeihung, dass ich dieses alberne Hilfsmittel trage. Mac bestand darauf, dass ich es mir von ihm ausleihe. Was ein Glück war, wie ich jetzt feststelle. Ich bin das Tageslicht nicht mehr gewohnt.«
Ashe hatte noch nie einen Wächter im Hellen gesehen. Und nun begriff sie, warum. Sie waren so blind wie Höhlenfledermäuse. »Kein Problem. Gehen wir nach hinten.« Sie nahm seinen Ärmel und zog ihn mit sich in den spärlich beleuchteten Pausenraum.
Die Muskeln unter dem Wolljackett waren deutlich zu spüren. Peinlich berührt und verärgert, wie Ashe war, drängte sie ihn auf einen der Plastikstühle und stellte sich etwas auf Abstand, wo sie die Arme verschränkte, um sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen.
Was ist denn mit mir los?
Sie musterte Reynard verstohlen, als er abermals die Sonnenbrille abnahm und sich die Augen rieb. Er trug seine Uniform, aber wenigstens hatte er weder seine Muskete noch sein Schwert dabei. Mac musste ihn an der Burgtür auf alles abgeklopft haben, was die Eingeborenen erschrecken könnte.
Der Dämon hätte ihn auch mit anderer Kleidung ausstatten sollen. Diese Uniform war seit Jahrhunderten überholt. Noch dazu war Reynard bedenklich bleich, als hätte er seit, tja, war wohl so, Jahrhunderten kein Sonnenlicht gesehen. Die Ränder unter seinen Augen verrieten, dass er überdies seit längerem keinen anständigen Schlaf mehr bekommen hatte.
Zieht euch das rein, Hormone! Abgerissen und kreidebleich. Ganz schlechte Voraussetzung für heiße Paarungsübungen.
Ach ja?
Ashe hatte immer gedacht, seine Augen wären eisgrau. In dem kurzen Moment, in dem sie in hellem Licht gestanden hatten, bemerkte sie, dass sie auch dunklere Schattierungen aufwiesen, wechselhaft offenbar, ähnlich sich zusammenbrauenden Wolken. Und sein Haar war eher braun als schwarz. Die Burgschatten hatten ihm die Farbe geraubt.
Ein Erinnerungsfetzen erschien vor ihrem geistigen Auge, aus der Schlacht im letzten Herbst, als sie
Weitere Kostenlose Bücher