Seelenkuss / Roman
moderne Wendung zu benutzen: Zwischen ihnen hatte es gefunkt – was immer das heißen sollte.
Sobald Reynard die Schwelle zur Bücherei überschritt, wurde ihm eiskalt.
Ashe stand vor dem Tresen, einem Vampir in einem langen Kapuzenmantel gegenüber. Zwei Frauen – eine alt, die andere jung – glotzten wie Schafe. Die andere Büchereihilfe, Gina, klammerte sich an den Tresen, als würde einzig dieser sie aufrecht halten.
Reynard ließ die Papiertüte fallen, die er trug. Sie landete knisternd, und die Wechselsocken sowie die fadenscheinige Uniform kippten auf den Boden.
Alle drehten sich zu ihm um, der Vampir eingeschlossen. Letzterer brauchte keine Sekunde, um zu begreifen, dass er zwischen zwei Feinden gefangen war.
Ashe nutzte die Ablenkung aus und stieß mit einem Lineal zu, das sie wie einen Degen gehalten hatte. Der Vampir wirbelte knurrend herum, so dass ihn das Lineal seitlich traf, wo es kaum mehr ausrichtete, als das dicke Leder des Mantels einzudrücken. Reynard hörte splitterndes Holz.
Nun sprang er vorwärts und über einen Tisch voller Bücher hinweg.
Der Vampir fauchte, packte die junge Frau im Nacken und zerrte sie an sich. Sie quiekte wie ein gefangenes Kaninchen, schrill und verzweifelt. Dabei krümmte sie sich so weit zusammen, wie sie nur konnte. Sie war keine Kämpferin, somit der ideale menschliche Schutzschild.
Reynard war nur wenige Schritte entfernt. Wie gelangte er zwischen den Menschen und den Vampir? Immerhin überlebte ein Wächter eine Menge.
Ihm blieb jedoch keine Gelegenheit, eine Lösung zu finden.
Grimmig hob die alte Dame beidhändig ein Buch vom Tresen. »Dies ist eine Bücherei, Sie Unhold!«, schrie sie; dann knallte sie dem Vampir das Buch auf den Hinterkopf.
»Mrs. F., nein!«, rief Ashe.
Der Vampir hieb mit einer Krallenhand aus und packte ein Büschel des dicken violetten Kragenbesatzes vom Mantel der alten Dame. Auf einem Absatz drehend, schwang Ashe ihm mit einem Seitwärtstritt ihren Fuß gegen die Schläfe.
Er ließ seine Geisel frei, wich zurück und konzentrierte sich erneut auf Ashe. »Kommst du friedlich mit, oder muss ich Gewalt anwenden?«
Die junge Frau lag bäuchlings da, zu verängstigt, um sich zu rühren. Reynard griff ihr unter die Achseln, zog sie hoch und schob sie in Richtung Tür. »Gehen Sie! Gehen Sie!«
Als Nächstes wandte er sich an die ältere Frau und Gina. »Raus hier – sofort!«
Zivilisten!
Er hatte vergessen, wie hilflos gewöhnliche Menschen sein konnten. In der Burg war jeder schlau genug, beim ersten Anzeichen von Gefahr wegzurennen.
Der Vampir sprang los. Ashe warf sich zwar beiseite, doch er riss sie mit sich nach unten, so dass sie unter ihm eingeklemmt war.
Die alte Dame hatte im Grunde eine gute Idee gehabt, die Reynard übernahm. Er griff sich ein quadratisches Metallobjekt vom Tresen und hieb dem Vampir den schweren Würfel auf den Kopf.
Der verdrehte sich, packte Reynards linkes Handgelenk und versenkte seine Zähne darin. Der Captain jedoch hielt immer noch den Metallapparat in der anderen Hand und schlug ihn nochmals auf den Vampirkopf.
»Reynard!«, keuchte Ashe unter dem Vampir. »Holen Sie dieses Ding von mir!«
Der Vampirschädel blutete, doch immer noch waren die Reißzähne tief in Reynards Haut vergraben.
Wütend hieb Reynard wieder und wieder zu, so wütend, dass er nur noch verschwommen sah. Letztlich wurde der Vampirbiss lockerer, und er konnte seinen Arm wegreißen, wobei er ein paar Hautfetzen einbüßte. Er zerrte den Vampir am blutverschmierten Haar von Ashe.
Kaum waren ihre Arme frei, holte Ashe aus und rammte das zerbrochene Lineal in das Vampirherz, wobei sie mit einem Innenkantenschlag der Hand nachhämmerte.
Der Vampir erschlaffte. Reynard schob seinen Leib zur Seite. Plötzlich kam ihm das quadratische Objekt, das er in der einen Hand hielt, außerordentlich schwer vor. Er hievte es auf den Tresen zurück.
Nach wie vor befand Ashe sich am Boden, aufgestützt auf ihre Ellenbogen. Sie begann zu lachen.
»Was ist?«
»Sie haben ihn ziemlich gründlich ausgetragen. Das ist der Entmagnetisierer.«
»Der was?«
Sie schüttelte den Kopf. »Unwichtig. Scheiße, ich dachte schon, Sie hauen ihn zu Brei! Hat er Sie gebissen?«
Reynard hielt seinen verwundeten Arm in die Höhe. Er konnte das Gift kalt wie Eis fühlen, das durch seine Adern pumpte. Bei gewöhnlichen Menschen verursachte es eine süchtig machende, orgasmusähnliche Verzückung. Reynard hingegen empfand nur Schmerz, was
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