Seelenkuss / Roman
wälzte sie dieses Gefühl in Gedanken, suchte nach Hinweisen darauf, dass sie das Andenken ihres Mannes verriet. Sie hatte in den letzten Jahren durchaus Sex gehabt, aber dies hier war anders. Sie wollte einen bestimmten Mann.
Einen, bei dem ihr die Vernunft sagte, dass sie ihn niemals haben könnte.
Ashe keuchte und fühlte, wie ihr Schweiß über den Rücken rann. Sie blickte sich zur Uhr an der Wand um. Reynard hatte versprochen, sie hier abzuholen. Wo steckte er?
Die Sonne, die durch die Fenster hereinfiel, heizte den Raum tierisch auf. Anscheinend war die Klimaanlage kaputt. Ashe trug nur einen Sport- BH und Laufshorts, und trotzdem kochte sie. Sie ging zum Notausgang, den sie aufstieß, um frische Luft hereinzulassen.
Und knallte die Tür fast gegen Reynard.
Er saß zurückgelehnt auf der Feuertreppe, lässig wie eine Katze, die sich sonnte. Als er zu ihr aufsah, konnte sie seinen Blick hinter der dunklen Sonnenbrille nicht erkennen. »Eine dürftig bedeckte Damen mit einem Schwert. Ich glaube, etwas sehr Ähnliches träumte ich einst.«
Handelte es sich bei diesem obercoolen Typen mit dem losen Mundwerk um denselben Knaben wie den, der sich ihrer Tochter gegenüber wie ein absoluter Schatz verhalten hatte? Ashe stupste ihn mit der Spitze ihres Reebok-Turnschuhs an. »Hoch mit dir. Was machst du hier draußen?«
Träge zog er sich nach oben. Sein Haar war zurückgekämmt und fest in seinem Nacken zusammengebunden, so dass seine kantigen Züge gut zur Geltung kamen. »Die Sonne fühlte sich gut an, und ich gestattete mir, sie eine Minute lang auszukosten.«
Mit einem Finger schob er die Sonnenbrille auf seinem Nasenrücken nach oben. Ashe brauchte seine Augen nicht zu sehen, um zu wissen, dass er sie mit einem höchst erwachsenen Blick musterte. Als sie nackt vor einem Aktzeichenkurs posiert hatte, war sie sich weniger entblößt vorgekommen.
Langsam wanderte sein Blick zu der langen gezackten Narbe, die ihr ein Werwolf quer über den Bauch gerissen hatte, und von dort zu ihrem Degen. »Fechttraining?«
»Ich mache bloß ein paar Angriffsübungen.« Froh, das Thema zu wechseln, drehte sie sich um und ging zu dem Gestell mit den Degen. »Es hilft, falls mir ein Vampir aus den alten Zeiten über den Weg läuft.«
»Den alten Zeiten?«, wiederholte Reynard offenbar amüsiert und schaute sich mit unverhohlener Neugier im Saal um. »Du meinst, aus meinen Tagen?«
»Stimmt«, antwortete Ashe kühl. »Heute erschießen wir uns einfach gegenseitig, schnell und ohne Umwege.«
Sein Lächeln war sonnengetränkt, ganz Hitze und Trägheit. »Manche Dinge sollten nicht übereilt werden.«
Ashe verdrehte die Augen.
Nun nahm Reynard einen Degen auf und schwang ihn durch die Luft, um das Gewicht zu prüfen. »Leicht, eher wie ein Duelldegen.«
»Nichts, woran du gewöhnt bist, was?«, erwiderte sie trocken. »Oder warst du der Degen-im-Morgengrauen-Typ?«
Er legte die Sonnenbrille ab und blinzelte. »Ich hätte keine berechtigte Forderung abgelehnt.«
»Würdest du es heute?«
Für einen Moment wirkte er erschrocken, erholte sich jedoch schnell, und ein Ausdruck trat auf sein Gesicht, der sehr nach »Böser Junge« aussah. »Glaubst du, du könntest mich schlagen?«
»Nein, denn ich habe nicht so viele Jahre Training hinter mir wie du.«
Er lächelte, allerdings ein bisschen herablassend. »Dann lädst du mich nicht ein, mit dir die Klingen zu kreuzen?«
Ashe verlagerte ihr Gewicht auf ein Bein. Es störte sie nicht, die schlechtere Fechterin zu sein – die Tatsache, dass sie eine blutige Amateurin war, hingegen schon. »Meinst du, dass du mich schlagen kannst, ohne den Degen kaputtzumachen?«
»Ja.«
»Du irrst dich.«
»Du hast selbst gesagt, ich hätte jahrelanges Training.«
»Was einiges wert ist.«
»Fraglos.«
Sein Tonfall grenzte an pure Arroganz, was wiederum Ashe anstachelte, ihn in seine Schranken zu weisen.
»Ich habe jahrelange Erfahrung als Jägerin, und dennoch glaubst du, ich würde deine Hilfe brauchen.«
Er seufzte. »Das besprachen wir bereits gestern Abend.«
Ashe machte achselzuckend einen Schritt rückwärts. Ihre Haut wurde heiß – das erste Anzeichen für Wut. »Ich ziehe es vor, allein zu arbeiten. Mir ist nicht wohl dabei, auf einen Partner aufzupassen, denn ich kriege immer ein sauschlechtes Gewissen, wenn sie sich umbringen lassen. Und, Kumpel, du forderst dein Schicksal mit der ganzen Urnengeschichte schon reichlich heraus.«
»Wie das?«
»Du dürftest nicht
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