Seelenkuss / Roman
»Wo bleibt das Portal?«
»Fast fertig!«, rief Reynard.
Sie fühlte einen zweiten Energieschwall aus seiner Richtung, ähnlich Ameisen, die ihr über die Haut krabbelten und sie bissen und stachen. Ashe umfasste ihren Colt und nutzte ihre eigene beschädigte Magie, um den Nebel aus ihrem Gehirn zu vertreiben.
Eine orange Lichtscheibe begann, gleich über dem Seerosenteich in der Luft zu flirren. Das Portal wuchs binnen Sekunden von einem strahlenden Punkt auf die Größe einer Radkappe. Ashe betete, dass Reynard es schnell aufbekam.
Ein verkohlter Geruch erfüllte die Luft, als würde die Wand zwischen der Erde und der Burgdimension wegbrennen. Ashe konnte sehen, wie das Portal hinter dem Kaninchen wuchs und seine Silhouette mit den Schlappohren beleuchtete wie ein heller Erntemond.
Die Bestie schüttelte ihr Hinterteil. Genauso taten es Katzen unmittelbar vor dem Sprung.
»Beeilung!«, schrie Ashe.
»Treiben Sie ihn hierher!«, erwiderte Reynard.
»Beweg deinen Arsch, Watteschwanz!«, zischte sie und zielte mit ihrer Waffe.
Das Kaninchen bleckte seine gewaltigen Schneidezähne und fauchte zurück.
Mist!
Der Dämonenhoppler schien das Portal zu fühlen, denn er hockte sich wieder hin und blickte von der Waffe zu dem orange glühenden Ballon. Einen winzigen Moment lang empfand Ashe Mitleid, doch dann dachte sie an all die zarten, saftigen Kinder, die sehr bald schon herkämen, um Ostereier zu suchen. Lecker, lecker!
»Okay, Klopfer, dann machen wir’s auf die harte Tour!« Ashe schoss in die Erde zu seinen Füßen.
Das Ding sprang geradewegs auf ihre Gurgel zu. Beängstigend schnell.
Scheiße!
Ashe warf sich zu Boden, rollte zur Seite, auf die Knie und feuerte drei Schüsse auf seinen Kopf ab. Sie verfehlte es um Längen. Das Kaninchen flog über sie hinweg, außerstande, seinen Schwung zu bremsen. Ashe hörte Reynard rufen und dann einen Schuss, der nicht von ihr kam. Sie rollte sich zum Blumenbeet. Hinter ihr krachten zwei weitere Schüsse.
Ashe keuchte. Verwirrung erhitzte ihre Nerven gleich Stromstößen. Diese Schüsse stammten nicht aus Reynards Muskete. Sein Gewehr feuerte nur ein Mal, und es würde sich nicht anhören wie eine hochtourige Automatik. Was ebenso für die Waffen der Sicherheitsleute galt.
Was zur Hölle war hier los?
Vorsichtig erhob Ashe sich aus der Hocke. Die Büsche, die ihr bei der Jagd noch viel zu dicht vorgekommen waren, schienen ihr nun unangenehm weit auseinander zu stehen. Ihre Knie waren stabil, obwohl Ashe ein feines Zittern in ihren Muskeln spürte, das dem Cocktail aus Adrenalin und schnellem Rennen geschuldet war. Die Atmosphäre war angespannt, ihre ob der drohenden Gefahr geschärften Sinne nahmen alles klar wahr.
Eine Kugel pfiff an ihrem Ohr vorbei, und Baumrindensplitter stoben auf. Ashe knallte der Länge nach auf die Erde – reiner Reflex.
Mehr Schüsse folgten. Das Kaninchen preschte so dicht an ihr vorbei, dass zwischen seinen Krallen und ihrem Arm nur Millimeter fehlten. Ashe blickte ihm nach, die Wange fest auf die weiche, feuchte Erde gepresst. Das Biest raste direkt auf das Portal zu und sprang durch den orangen Wirbel. Als Letztes nahm Ashe sein Hinterteil wahr, das sie an eine Puderquaste erinnerte.
Sie glaubte, jemanden hinter dem leuchtenden Glühen rufen zu hören – vielleicht Mac und seine Männer, die dort Zoowärter spielten. Gleich einer Spirallinse schloss sich das Portal, und das orange Glühen schrumpfte in sich zusammen, bis es ganz verschwunden war.
Dann stand Reynard neben ihr. Der Brandgeruch der Portalmagie haftete an ihm. Er legte eine feste Hand an ihre Schulter. »Sind Sie verletzt?«
»Runter!«, fuhr sie ihn an und zog ihn am Kragen seiner Kostümjacke.
Der nächste Schuss verfehlte seinen Kopf nur knapp.
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2
A she konnte seinen Schweiß, die Erde und den Pflanzensaft zerdrückter Blumen riechen. Sie war in einem Kräuterstreifen gelandet und hatte die aufwendige Arbeit der Gärtner zunichtegemacht. Aus einem zerquetschten Thymianstrauch blutete ein intensiver Geruch in die Nacht.
Vom Uhrturm im Hauptgebäude hörte man es elf schlagen. Zeit, zu Hause zu sein und die Spätnachrichten zu sehen, statt Monster in einer Touristenfalle zu jagen. Nein, stopp! Sie hatten das Monster ja einkassiert.
Zum Teufel, warum schoss dann immer noch irgendjemand auf sie?
Reynard packte ihren Arm. »Sind Sie verletzt?«, wiederholte er.
»Nein.« Sie wandte sich zu ihm, achtete allerdings darauf, ihren Kopf nicht zu weit zu
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