Seelenkuss
ein kleines Plateau, vielleicht zwei auf zwei Schritt, von dem es keinen Weg herunter gibt, weil die Felsen senkrecht in die Tiefe fallen. Dort hat er mich von seinem Rücken geschüttelt und den Sattel vor meinen Augen zerfetzt. Dabei sagte er mir Dinge, an die ich mich gar nicht erinnern will . Und dann ließ er mich da oben allein. « Er lachte leise, seine Lippen streiften ihren Nacken. » Berge und Wind, ich bin fast gestorben vor Angst. Ich glaube, ich habe mich in der ganzen Zeit keine Spanne von der Mitte des Plateaus wegbewegt. Um mich herum nur senkrecht abfallende Felswände. In die Tiefe fallende Felswände. Dabei musste man mir normalerweise bereits die Augen verbinden, wenn es über eine Brücke ging. «
» Du? Höhenangst? « Über die Schulter schaute sie ihn an.
» Und wie. Mir wurde früher schon schlecht, wenn ich nur auf einen Schemel steigen musste. « Er drehte sie endgültig zu sich um, ohne sie aus seinem Armen zu lassen. In seinen silbernen Augen stand ein undeutbares Glitzern, während er sie aufmerksam ansah. » Hast du Angst? « , fragte er dann leise. Die Zähne in die Lippe gegraben, nickte sie und schüttelte den Kopf. Um seinen Mund zuckte es vor mühsam unterdrücktem Gelächter. » Das musst du nicht. « Für einen Moment sah er über sie hinweg. Sein Blick wurde für kaum mehr als ein, zwei Atemzüge seltsam unscharf, wie stets, wenn er im Geist mit seinem Seelenbruder sprach, und sie stellte fest, dass sie sich an diese stummen Unterhaltungen noch immer nicht gewöhnt hatte. Als er sie wieder anschaute, nistete der Hauch eines Grinsens in seinen Mundwinkeln. » Er wird dich nicht von seinem Rücken fallen lassen. Halt dich einfach nur fest. « Seine Hände strichen sanft und warm über ihren Rücken. Er beugte sich zu ihr, lehnte seine Stirn sacht gegen ihre, wie er es schon so oft getan hatte. » Dir wird nichts geschehen. Versprochen. « Eben wollte sie die Arme um seinen Nacken legen, da packte er sie um die Mitte und hob sie in die Höhe. Ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnte, saß sie auf Cjars Rücken. Ihr erschrockener Schrei wurde zu einem Keuchen. Sie klammerte sich an dem weichen Halsgefieder fest. Schaute auf diesen hinterhältigen Kerl hinab, der ihren Blick grinsend erwiderte. In der Sonne glitzerten die Edelsteintätowierungen über und in seiner Braue. Diese kurze, wortlose Unterhaltung! Sie hatten es abgesprochen. Der eine lullte sie mit schönen Reden ein, während der andere sich anschlich. Sie verfluchte sie beide und wurde ausgelacht. Cjar wandte den Kopf, ein goldenes Raubvogelauge zwinkerte ihr zu. Sie senkte den Kopf und ließ ihr Haar vor ihr Gesicht fallen, damit keiner der beiden das Lächeln auf ihren Lippen sah, während sie scheinbar ergeben seufzte.
Noch immer grinsend trat er näher heran und zeigte ihr, wie sie ihre Beine am besten um Cjars Körper legte, damit sie seinen mächtigen Schwingen nicht zu nahe kam. » Press die Knie fest an seinen Leib. Und hab keine Angst. Wen ein ChaiDren nicht von seinem Rücken fallen lassen will, der fällt nicht. « Seine Hände verharrten länger an ihrem Bein als nötig, während er sie noch einmal prüfend ansah, als wolle er ihr doch noch die Möglichkeit lassen, Nein zu sagen. Doch als sie schwieg, erschien das Grinsen wieder auf seinen Lippen, und er machte einen Schritt zurück. Kurz nur war sein Blick erneut seltsam unscharf, dann trat Cjar auch schon vorwärts. Seine Muskeln spannten sich und er stieß sich mit einem geschmeidigen Sprung vom Boden ab. Es brauchte nur drei kraftvolle Flügelschläge, dann lag die Erde schon weit unter ihnen. Der Wind peitschte an ihr vorbei und riss ihr den Atem von den Lippen. Sie klammerte die Finger fester in den seidigen Flaum an seinem Hals. Die mächtigen Schwingen trugen sie mit jedem Schlag höher und höher. Der Wald huschte unter ihrem Schatten dahin. Cjar breitete die Flügel aus und ging in einen ruhigen Gleitflug. Hatte sie sich bisher krampfhaft an ihm festgehalten, so entspannte sie sich nun allmählich. Cjar hatte es offenbar gespürt, denn seine Schwingen trugen sie noch einmal höher, ehe er sich in einen sanften Bogen legte und auf die Klippen und das Meer dahinter zuhielt. Grau silbern gefleckte Kehlmöwen kreischten empört und stoben vor ihnen auseinander. Die See lag unter ihnen wie ein glitzernder Spiegel. Ihr Jauchzen mischte sich mit Cjars Adlerschrei, als sie darüber hinwegglitten, so tief, dass seine Klauen die Oberfläche streiften.
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