Seelenkuss
dunkle Schmieren auf ihnen, fügten ein paar zusammen, tasteten blind nach den nächsten, während die vorherigen bereits von Neuem auseinanderfielen. Wieder. Wieder. Wieder. Seine Stimme kippte und verzerrte sich, brach über einem Schluchzen. Darejan machte einen weiteren Schritt auf ihn zu. Er hob das Gesicht, sah sie an. Seine silbernen Augen flehten. Er streckte ihr die Hände entgegen. Sie waren blutig zerschnitten. Scherben glitzerten in ihnen. » Hilf mir, Rejaan! « Die Worte wehten zu ihr her, verzerrt und rau vom endlosen Klagen. Ein dunkler Schatten breitete seine mächtigen Schwingen aus, der Schrei eines Adlers gellte in ihren Ohren. Sie wankte zurück. Der Nebel wallte höher. Geheul und Zischen. Schmerz in ihrem Kopf, der sich wie Klauen in ihren Geist bohrte. Selorans Stimme. Das Brennen von Magie. Vergiss ihn! Die Schatten kicherten, kamen näher. Gelächter! Stimmen! Stimmen! Er wird euch nichts tun. Habt keine Angst! – Die Sonne ist noch nicht aufgegangen! – Es ist vorbei! Wir werden uns nicht mehr sehen! – Lass sie ruhig die Tore schließen. Wir bringen dich nach Hause. – Ich habe versprochen, nicht danach zu fragen, wo du zu Hause bist. – Es ist vorbei! – Vergiss ihn! – Er wird dich nicht von seinem Rücken fallen lassen. Halt dich einfach nur fest. – Vergiss ihn! – Wir werden uns nicht mehr sehen! – Halt dich einfach nur fest! – Vergiss ihn! Sie schlang die Arme um den Kopf. Schmerz machte sie blind. Einer der Schatten stand vor ihr, drehte sich um. Silberne Augen. » Du bist schuld! Du hast ihn umgebracht! Mörderin! « Hände umfingen ihr Gesicht. Klebrig feuchte Wärme. Blut! Dazwischen scharfkantige Scherben, die in ihre Haut schnitten. » Mörderin! « – » Hilf mir! « Ein rauer, brechender Klagegesang. Der Nebel wallte höher. Darejan wollte sich mit aller Kraft losreißen. Sie stolperte rückwärts, versuchte die Hände von ihrem Gesicht zu lösen und schrie, schrie, schrie…
Sie schrie noch immer, als das Knistern eines Feuers in ihre Sinne drang. Ein zweiter Schrei mischte sich mit ihrem, ungleich gellender, ungleich qualvoller. Ein einziges Wort: » Cjar! « Die Stimme zerbrach. Darejan riss die Augen auf, starrte in die weit aufgerissenen des DúnAnór. Schatten brodelten in ihnen. Schatten, die sich auf einer Lichtung vor den Mauern von Kahel sammelten. Schatten, die über silbergraues Gefieder tanzten. Die mächtigen Schwingen bewegten sich mit einem leisen Rascheln der langen Schwungfedern, während der Adlerkopf sich ein Stück zur Seite neigte. » Du hast doch gesagt, du wolltest es versuchen. Jetzt zier dich nicht! « Er schob sie einen weiteren Schritt vorwärts. Sie stemmte sich gegen seine Hände. Warm schien die Sonne auf sie herab. In den Zweigen der Bäume, die die lang gestreckte Lichtung vor neugierigen Blicken schützten, flüsterte eine sanfte Brise. In der Ferne donnerte das Meer gegen die weißen Kalkfelsen des Kliffs. Die Luft schmeckte nach Salz.
» Aber ich … doch nicht so. Ich dachte, mit einem Sattel … «
Ein heiseres Grollen drang aus der silbergefiederten Brust. Noch vor ein paar Tagen wäre sie bei diesem Laut vor Schreck erstarrt, doch jetzt spürte sie, wie Röte in ihr Gesicht kroch, wusste sie doch inzwischen, dass es ein belustigtes Kichern war.
» Sattel? « Sein Lachen vibrierte an ihrem Rücken, als er sie an sich zog und die Arme von hinten um sie legte. Sie schmiegte sich an ihn und erschauderte, als sein Atem ihr Ohr streifte. » CjarDar ist ein ChaiDren. Hast du das vergessen? Niemand legt einem wie ihm einen Sattel auf. Zumindest niemand, der bei gesundem Verstand ist und an seinem Leben und seinen einzelnen Körperteilen hängt. «
» Du auch nicht? « , fragte sie zaghaft und beäugte das herrliche Geschöpf, das halb Adler, halb Pferd war und das nur noch wenige Schritt von ihnen entfernt in Sonnenlicht und Schatten getaucht vor ihnen stand und geduldig wartete. Der gewaltige Schnabel schimmerte wie poliertes Gold und die feinen Flaumfedern an seinem Ansatz und um die im Gefieder verborgenen Ohren erinnerten sie an frisch gefallenen Schnee. Seine messerscharfen Raubvogelfänge hinterließen dunkle Furchen im Gras.
» Ich auch nicht. – Aber ich gebe zu, dass ich es einmal versucht habe. Und danach nie wieder. Cjar ließ mich sogar gewähren, aber kaum saß ich auf seinem Rücken, trug er mich auf die Spitze der Njaruun, der Himmelsnadel, dem höchsten Gipfel, den es in den GônTheyraan gibt. Ganz oben ist
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