Seelenkuss
nach draußen.
Am Morgen kam sie zurück. Ein Korb mit Brot, Butter, Gemüse und einem Stück Fleisch im Arm. Doch die Hütte war verlassen. Sie ließ den Korb auf dem Tisch zurück und machte sich auf die Suche. Hinter den Dünen entdeckte sie schließlich eine Spur im Sand, die vor einem Geröllpfad endete, der in die Klippen hinaufführte. Und hoch auf den Kalkfelsen über Kahel fand sie ihn und Ayina schließlich. Sie standen mit ineinander verschränkten Händen direkt am Rand des Kliffs. Zwischen ihren Fingern flatterte ein verblichenes Band. Der Wind spielte an den zerrissenen Kleidern der Frau und trug seine Stimme über die Felsen bis zu ihr her. Sanft und dunkel hob sie sich in den Wind hinauf, eine Melodie, die von Trauer und Verlust erzählte. Ein wortloses Lied, das davon sprach, dass Loslassen nicht Vergessen war. Töne, in denen eine Macht schwang, die sie an ihren Platz bannte und zugleich näher heranzog. Die eine unerklärliche Sehnsucht in ihr weckte und ein Schaudern ihren Rücken emporkriechen ließ. Selbst die Möwen schwiegen. Das Band wehte mit dem Wind davon. Zwischen dem Tosen der Brandung glaubte sie, ein Lachen zu hören.
Die Melodie verklang und mit einem Mal konnte sie wieder atmen. Etwas krallte sich schmerzhaft in ihr Inneres, als sie sah, wie er Ayina in die Arme nahm und ihren Kopf an seiner Brust barg. Ein abgerissenes Schluchzen drang bis zu ihr. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Als Ayina sich schließlich mit dem Ärmel übers Gesicht fuhr und von ihm löste, hatten ihre Nägel sich schmerzhaft in ihre Handflächen gebohrt. Doch als die Frau den schmalen Klippenpfad entlang auf sie zukam, war der Wahnsinn, der ihre Züge immer zu einer Maske verzerrt hatte, aus ihnen verschwunden. Zurückgeblieben waren vom Weinen rote Augen und Trauer. Mit einem Knicks und einem Murmeln, das sie nicht verstand, lief Ayina an ihr vorbei. Für mehrere Atemzüge konnte sie ihr nur verblüfft nachstarren, doch als sie sich wieder umdrehte, entdeckte sie, dass er zu ihr herüberblickte. Dicht neben ihm stand CjarDar. Mit dem unerklärlichen Gefühl, bei etwas Verbotenem ertappt worden zu sein, ging sie zu ihnen hinüber. Er war bleich. Die dunklen Schatten unter seinen Silberaugen kündeten von Müdigkeit. Die Hand, die er ihr entgegenstreckte, war erschreckend kalt. Ohne darüber nachzudenken, ergriff sie auch noch seine zweite und rieb sie zwischen ihren.
» Was ist geschehen? «
» Ihr Mann ist in jenem Sturm ertrunken, aber ihre Liebe hielt ihn im Schleier gefangen und er konnte nicht über die TellElâhr gehen. Er wollte, dass sie ihn loslässt und er endlich seinen Frieden finden kann, dass sie selbst wieder lebt und glücklich wird. – Sie hat geglaubt, er wolle sie zu sich rufen, und als er sie nicht holen kam, ging sie ins Wasser. « Er schüttelte den Kopf. Die kleine Bewegung hätte ihn beinah sein Gleichgewicht gekostet. Schwer lehnte er sich an Cjars Schulter. » Es hätte nicht mehr lange gedauert und seine Liebe hätte sich in Hass verkehrt. Ich habe ihr geholfen, ihn gehen zu lassen. Jetzt haben sie beide ihren Frieden. «
Ihre Hände verharrten. Mit großen Augen starrte sie ihn an. » Wer bist du? «
Er zuckte die Schultern. » Nur jemand mit einer besonderen Gabe. «
Zitternd holte sie Atem.
» Hört ihr mich? « Die Stimme der Kriegerin ließ Darejan aufschrecken und benommen nicken. Niéne musterte sie ein paar Herzschläge lang mit schmalen Augen, ehe sie fortfuhr. » Erinnert ihr euch nicht mehr? « , sie sprach erstaunlich sanft, obwohl es klang, als hätte sie ihr diese Frage schon einmal gestellt. » Mirija, die närrische Gans, hat versucht, in den Schleier zu gehen, um die Klinge zurückzuholen. Sie sagt, sie hat es gerade mal in seinen Rand geschafft. Ihr jedoch habt dagesessen, reglos, mit leerem Blick, die Augen aufgerissen. Beinah volle drei Stunden. Da sie sich nicht erklären konnte, was geschehen war, hat sie mich und Oqwen geholt. Wir haben nicht gewagt, euch zu wecken. Und dann seid ihr um euch schlagend aufgewacht. Ihr habt etwas geschrien. Immer wieder. Aber wir konnten es nicht verstehen. « Ihr goldener Blick richtete sich auf den DúnAnór. » Beinah im gleichen Herzschlag schießt auch er in die Höhe, schreit, starrt euch mit aufgerissenen Augen an und kippt wieder um, als habe der Blitz ihn getroffen. Dabei keucht er wie ein Ragon, das man stundenlang in sengender Hitze zum Galopp gezwungen hat. Aber nachdem sein Atem sich wieder beruhigt hat,
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