Seelenkuss
Hechtsprung unter den Wellen verschwand. Hinter der Brandung tauchte er wieder auf, schwamm mit langen Zügen weiter hinaus, bis er abrupt untertauchte. Cjars Schatten glitt über sie hinweg. Sein Schrei gellte über dem Kreischen der Möwen. Draußen auf dem Meer erschien sein dunkler Schopf, verschwand erneut, kam wieder an die Oberfläche. Cjar schrie. Er schwamm ein paar Stöße weiter, tauchte abermals unter. Und als er dieses Mal über den Wellen erschien, war er nicht mehr allein. Angespannt beobachtete sie, wie er sich zurück ans Ufer mühte und eilte ihm entgegen. In den Uferwellen fiel er auf die Knie. Hastig fasste sie mit zu und half ihm, das Bündel aus Stoff und schlaffen Glieder auf den Strand zu schaffen, wo er mit seiner Last in den Sand sank. Noch immer keuchend schob er langes, strähnig braunes Haar aus einem bleichen Gesicht. Die abgehärmten Züge einer Frau kamen zum Vorschein.
» Ayina « , erkannte sie erstaunt.
Er blickte auf. » Du kennst sie? « Schimmernde Tropfen suchte sich ihren Weg über Gesicht und Hals abwärts und glitzerten mit den Edelsteinlinien über seiner Braue um die Wette. Über ihnen zog Cjar seine Kreise.
» Ja. Das ist die verrückte Ayina. Atmet sie? «
» Nein. Hol eine unserer Decken. « Sie sah gerade noch, wie er sich über die Frau beugte, ehe sie gehorchte. Als sie gleich darauf zurückkehrte, lag Ayina hustend und würgend und Wasser spuckend über seinem Arm. Ein verblichenes Band lugte zwischen ihren zur Faust geballten Fingern hervor. Er wartete, bis die schwachen, keuchenden Atemzüge sich ein wenig beruhigt hatten, dann nahm er ihr die Decke ab.
» Weißt du, wo sie zu Hause ist? « , fragte er, während er die zitternde Frau darin einhüllte.
Sie nickte. » Sie hat hier am Strand eine Hütte. «
Mit Ayina auf den Armen stand er auf. » Zeig mir, wo. Sie braucht Ruhe und muss aus ihren nassen Sachen raus. «
Ayinas Hütte war eine alte, halb verfallene Kate, die sich in den Schutz eines Felsens und einiger Dünen duckte. Reisig war zwischen zwei krüppeligen Windflüchtern zu einem notdürftigen Schutz gegen den Seewind geflochten. Eine fleckige Decke ersetzte die Tür, in der Kammer dahinter war nicht mehr als eine Kochstelle, ein einfaches Bett, Tisch und Hocker. In einer Kiepe lagen Treibholz und Reisig. Ein schmales Fenster sorgte für ein wenig Licht. Das andere war mit Lumpen ausgestopft.
Nach einem raschen Blick durch den Raum legte er Ayina aufs Bett, zögerte dann aber.
Sanft schob sie ihn beiseite. » Ich ziehe sie aus. Mach du Feuer! «
Ein kurzes Lächeln, dann wandte er sich der Kochstelle zu. Wenig später prasselten Flammen zwischen dem Treibholz und auch die Frau lag unter trockenen Decken. In einer Truhe am Kopfende des Bettes hatte sie ein sauberes Hemd gefunden. Er blickte auf die abgehärmten Züge hinab. » Warum nennt man sie die verrückte Ayina? «
» Weil sie verrückt ist. Ihr Mann ist bei einem Sturm auf See geblieben. Seitdem ist sie jeden Tag stundenlang am Strand und wartet auf ihn. Sie lässt gewöhnlich niemanden in ihre Nähe. Normalerweise kichert und murmelt sie die ganze Zeit vor sich hin. Ein paar Fischer haben behauptet, sie hätten sie auch schon mit ihrem toten Mann reden gehört. « Sie sah zu dem schmalen Fenster, hinter dem die Sonne rasch tiefer sank. Sein Blick war ihrem gefolgt, nun wurde er für einen Lidschlag abwesend, ehe er sich wieder auf sie richtete.
» Du solltest gehen, ehe es zu spät wird und sie die Tore schließen. CjarDar bringt dich nach Hause. « Er verzog die Lippen, als sie den Mund öffnete, um zu widersprechen. » Er begleitet dich, soweit du es ihm erlaubst « , schränkte er seufzend ein und trat näher heran. Warm lehnte seine Stirn sich gegen ihre. » Ich habe versprochen, nicht danach zu fragen, wo du zu Hause bist. Ich stehe zu meinem Wort. Ich werde warten, bis du es mir erzählst, weil du es so willst. «
Sie biss die Zähne zusammen. Mit ein paar wenigen Worten schaffte er es, dass sie sich schuldig fühlte. Aber was wusste sie schon von ihm? Es war besser so. » Und was ist mit dir? « , fragte sie nach einem Augenblick des Schweigens.
» Ich bleibe hier. Sie sollte heute Nacht nicht allein sein. «
Ein Laut vor der Hütte verriet Cjars Anwesenheit.
» Sehen wir uns morgen? « Sie verschränkte ihre Finger mit seinen.
» Ich werde da sein « , versprach er.
Ein zärtlicher Kuss zum Abschied, der nach Salzwasser schmeckte, dann schlüpfte sie durch den Vorhang
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