Seelenkuss
seinen Albträumen um sich geschlagen hat. Und dass ihr immer wieder aufgestanden seid und ihn beruhigt habt. Vielleicht kommt der Zeitpunkt, an dem er euch für ein paar Stunden Schlaf ohne Träume dankbar sein wird. Und möglicherweise braucht auch ihr einmal eine Nacht, in der euer Schlaf ungestört ist. «
» Ich glaube nicht… «
Niéne hob die Hand und schüttelte gleichzeitig den Kopf. » Es wird eure und auch seine Entscheidung sein. Aber ich will euch zumindest die Möglichkeit dazu bieten. « Sie verschloss den Beutel und reichte ihn Darejan. Dann stand sie auf und ging zu der kleinen Gruppe Krieger hinüber, die schon bei ihren Ragon warteten und bei denen auch Mirija mit einem Bündel in den Armen stand. Darejan folgte ihr.
Außer Oqwen erwarteten sie noch drei weitere Isârden bei den Tieren. Einer von ihnen war Siére, der zweite war bei den Männern gewesen, die sie gefangen genommen hatten, und der dritte war jener Krieger, der dem jungen Kerl, der sie als » Korunhure « beschimpft hatte, eine Ohrfeige verpasst hatte. Niéne stellte sie ihr als Ferde und Lurden vor. Dann bellte sie einen Befehl, und gleich darauf kam ein junger Bursche angerannt, der ein graubraun gesprenkeltes Ragon am Zügel hinter sich herzog. Sichtlich überrascht sah Oqwen seine Kommandantin an, die seinen Blick grinsend erwiderte.
» Dein Brudersohn reitet mit dir und deinen Männern « , ordnete sie an. » Er wird euch nützlicher sein als uns. «
Das also war Parrde, der Bote, der Niéne die Nachrichten aus Issra überbracht hatte. Darejan betrachtete den Jungen genauer. Er schien kaum alt genug zu sein, um den ersten Flaum auf den Wangen zu haben, und doch galt er bei den Isârden schon als erwachsen genug, um ein Schwert führen zu dürfen. Wie bei den anderen Kriegern war sein Kopf auf einer Seite rasiert und er trug sein Haar zu unzähligen dünnen Zöpfen geflochten. Seine hellen braunen Augen wirkten ein wenig zu groß für sein Gesicht, wodurch er jung und verletzlich aussah. Er verbeugte sich respektvoll vor dem DúnAnór, der schweigend neben seinem Ragon stand und alles beobachtet, dann nickte er Darejan höflich zu und murmelte einen Gruß. Oqwen schien über den Umstand, dass sein Brudersohn ihren Trupp begleiten sollte, erleichtert und zugleich unangenehm berührt. Doch Niéne gab ihm keine Möglichkeit Einwände vorzubringen, sondern befahl ihm unverzüglich aufzubrechen.
Ohne dass es eines Wortes bedurft hätte, formierten sich die Krieger um sie. Oqwen übernahm die Spitze, und während Siére und Lurden zu beiden Seiten des DúnAnór ritten, nahmen Ferde und Parrde sie und Mirija, die hinter ihr auf ihrem Ragon saß, in ihre Mitte. Darejan warf einen raschen Blick über die Schulter. Niéne sah ihnen nach und hob die Hand zum Gruß. Darejan erwiderte die Geste, dann wandte die Kriegerin sich um und ging zu den übrigen Isârden zurück, die sie schon mit fertig gesattelten Ragon erwarteten.
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D as ist die ShaAdon? « Hinter Darejan beugte Mirija sich auf dem Rücken ihres Ragon zur Seite und spähte an ihr vorbei zu dem weißen Felsmassiv, das senkrecht vor ihnen aufragte. » Aber das sind ja Berge. «
» Es sind Tafelberge. « Parrde zügelte sein Reittier eine Armlänge neben ihnen und lächelte die junge Frau an. Sein Ragon kaute auf seinem Gebiss und scharrte mit den Hufen auf dem laubbedeckten Boden. » Hat man die Felswand erst einmal hinter sich gelassen, steht man auf einer Ebene, die sich bis zu den GônKador erstreckt. « Er wies nach vorne. » Siehst du den Schatten, dort hinten über der Ebene, der im Dunst verborgen ist? Das sind die GônKador, die Berge der Ewigkeit. Hinter ihnen sollen sich die Klippen des Anbeginns befinden und in ihnen liegt… « Der junge Krieger verstummte, als sein Blick Mirijas begegnete. Schlagartig färbten seine Ohrläppchen sich tiefrot. Er räusperte sich angestrengt. » Naja, in ihnen soll der Zugang zum Reich der Toten liegen. Aber das weißt du bestimmt schon alles. Immerhin warst du die Schülerin eines Nekromanten « , beendete er seine Erklärungen ein wenig lahm und vermied es, sie noch einmal anzusehen. Dadurch bemerkte er den leicht verträumten Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht, der von aufsteigender Röte verdrängt wurde. Hastig setzte sie sich auf dem Rücken des Ragon zurecht und Darejan kämpfte ein Lächeln nieder. Schon am ersten Tag hatte es zwischen den beiden begonnen. Verstohlene Blicke, verlegenes Lächeln und gerötete Gesichter.
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