Seelenkuss

töten. Ich bin kein Narr und füge dem von mir erwählten Gefäß dauerhaften Schaden zu. Was glaubst du, warum ich ihn in Kahel nicht mit gewöhnlichen Bandeisen fesseln ließ? Sie können so hässliche Narben hinterlassen. Der Schmerz wird nur die letzten Überreste, die vielleicht noch von seiner Seele zurückgeblieben sind, aus seinem Körper treiben. Es dauert ein bisschen, bis es zu wirken beginnt, deshalb kannst du es ihm auch jetzt schon mit dem Bier geben. «
    Schaudernd blickte sie auf den Becher. » Warum wollt ihr ihn in den letzten Stunden auch noch mit Gift quälen? Seht ihr denn nicht, dass er keine Gefahr mehr ist? «
    » Es geht nicht um ihn, oder darum, dass er mir noch gefährlich werden könnte, dummes Ding. Ein gereinigtes Gefäß zu übernehmen, kostet mich nur sehr viel weniger Kraft. Und du solltest mir dankbar sein. Je mehr Kraft ich nach dem Wechsel noch habe, umso schneller habe ich auch aus dir ein geeignetes Gefäß gemacht. Du wirst weniger leiden. « Er gab einem der Grauen Krieger einen Wink. Der trat vor und füllte den Becher mit Bier. » Willst du ihm nun zu trinken geben, oder soll ich meinem Diener befehlen, es ihm in den Schlund zu schütten? « , erkundigte er sich mit zur Seite geneigtem Kopf.
    Darejans Hand bebte, als sie langsam aufstand und den Becher ergriff. » Werdet ihr mich auch zwingen, es zu trinken? « , fragte sie schwach.
    Ahoren lachte. » Aber nein, meine Liebe. Deine Seele sitzt stark und fest in deinem Körper. Um sie aus ihrem Heim zu vertreiben, bräuchte es mehr als eine Dosis. Und außerdem wirkt das Gift auf euch Korun im Gegensatz zu den Jarhaal tödlich. Ich habe es ausprobiert. «
    Sie musste sich zwingen, die beiden Schritte zu der leblosen Gestalt des DúnAnór zu machen. Sein Kopf war nach vorne und zur Seite gesunken. Das Haar hing ihm halb in die Stirn und verdeckte seine Edelsteintätowierungen. Sanft strich sie es zurück, während sie sich über ihn beugte und den Becher an seine Lippen setzte.
    » Verzeih mir « , flüsterte sie leise.
    Seine Augen öffneten sich in dem Moment, als ihr Schatten auf sein Gesicht fiel und sie ihn vor Ahoren und seinen BôrNadár verbarg. Sein Blick war vollkommen klar. Um ein Haar hätte sie aufgeschrien und wäre zurückgewichen. Ihr Herz klopfte plötzlich laut in ihren Ohren. Er wusste, was um ihn herum vorging.
    Vorsichtig nahm sie den Becher von seinen Lippen. Er presste sie weiter fest aufeinander, und Darejan erkannte, dass er ihr bedeuten wollte, still zu sein. Noch ehe sie wusste, wie sie ihm sagen konnte, dass sie verstanden hatte, zuckten seine Augen zur Seite. Zuerst begriff sie nicht, was er von ihr wollte. Bis ihr Blick auf die Tür fiel. Sie stand einen Spaltbreit offen. Ihr Mund wurde trocken. War Noren durch diese Tür gekommen, als er ihr etwas zu essen gebracht hatte? Wusste der DúnAnór, dass sie offen war, oder wollte er das von ihr erfahren? Da ihr nichts anderes einfiel, formte sie mit den Lippen ein stummes » Ja« und gleich darauf ebenso lautlos » Mirija « . Einen Herzschlag lang schien er den Atem anzuhalten, er schloss die Lider, um sie gleich wieder zu öffnen und nur mit den Augen zu verneinen. In wortlosem Protest drückte sie die Hand auf seine Brust und erstarrte, als sich hinter ihr Schritte näherten. Sie spürte, wie er sich anspannte. Der Schatten eines BôrNadár fiel auf sie. Darejan stand wie gelähmt, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Eine Hand fiel kalt auf ihre Schulter, zog sie wankend herum. Vergiftetes Bier schwappte und rann ihr über die Finger. Sie spürte die Bewegung hinter sich, als der DúnAnór aus seiner Reglosigkeit erwachte. Der Graue Krieger stutzte nur den Bruchteil eines Lidschlags, dann streckte er schon die zweite Hand nach ihr aus. Darejan schrie, schleuderte ihm den Becher entgegen und riss sich zugleich mit einem hastigen Schritt los. Beinah wäre sie über den Stuhl gestürzt, doch der war plötzlich nicht mehr da. Sie hörte Ahorens Brüllen, ein Scharren und dann ein Krachen wie von berstendem Holz, wurde am Arm gepackt und vorwärtsgezerrt. Ein Stoß beförderte sie durch die Tür und eine schmale Treppe hinunter gegen eine Mauer bei einem Absatz, an dem die Stufen die Richtung änderten. Ein dicker Wandteppich dämpfte ihren Aufprall. Über ihr krachte die Tür zu, während gleichzeitig etwas Schweres wuchtig von der anderen Seite dagegenschlug.
    » Hilf mir, verdammt! « , brüllte der DúnAnór von oben. Die Tür bebte unter