Seelenkuss
eine Ecke zu kauern.
Die Glieder der zweiten Kette gaben ebenfalls nach einigen Hieben unter Settens Meißel und Hammer nach und Noren zog den Jarhaal zusammen mit dem fuchsgesichtigen kleinen Mann vom Boden hoch. Schwer hing er zwischen ihnen, bis Noren ein Knurren ausstieß und sich den Gefangenen wie ein erlegtes Tier über die Schulter warf. Mit einem Nicken schickte er Setten auf den Gang hinaus.
Keraden erwartete sie ein paar Schritt von der Zelle entfernt, angespannt lauschend, um sie rechtzeitig vor ungebetenen Störungen warnen zu können. Schnell, aber ohne Hast bewegten sie sich durch den Gang zurück. Tief unter ihnen in den Felsen kündigte ein ständig lauter werdendes Grollen die steigende Flut an. Am Fuß der Treppe stieß Setten einen leisen Pfiff aus, der gleich darauf von oben beantwortet wurde. Auch hier war die Luft rein. Rasch stiegen sie die Stufen hinauf. In der Wachstube hob Danen zwar beim Anblick des Körpers über Norens Schultern kurz die Brauen, verschwand dann aber wortlos die zweite Treppe hinauf, um ihnen kurz darauf abermals ein Pfiff-Zeichen zu geben. Auch auf dem oberen Korridor war niemand zu sehen.
Ihre Schritte verursachten auf den binsenbestreuten Steinplatten keinen Laut, während sie durch die gekalkten Gänge hasteten. Die hohen Fenster aus geschliffenem Glas, die sie zuweilen passierten, erlaubten ihnen einen raschen Blick auf den Wehrgang und das Gedränge des Marktes im Inneren Hof. An jeder Ecke verhielten sie, wachsam lauschend. Réfen hatte ihnen versichert, dass diese Flure von Bediensteten kaum benutzt wurden, da sie nur zu einigen tiefer gelegenen Lagerräumen und den inneren Stufen in die Verliese hinunterführten. Und die Kerkerwache würde erst in fünf Stunden abgelöst werden. Dennoch waren sie vorsichtig. Zu erklären, warum Noren einen teilnahmslosen Jarhaal über den Schultern trug, würde schwierig sein– vor allem, angesichts der eisernen Ringe, die um dessen Handgelenke lagen.
Schließlich hatten sie den schmalen Flur erreicht, der vor einer selten benutzten Seitenpforte des Palasts endete. Dahinter öffnete sich, nach dem, was Réfen ihm gesagt hatte, ein Teil des Inneren Hofes, der von den Zinnen des Wehrganges nur schlecht einzusehen war. In einer Entfernung von etwa sieben Schritten würde sich zu ihrer Rechten der Bogengang befinden, der sie zurück ins Markttreiben führen würde. Keraden schob lautlos die schweren Riegel zurück und drückte vorsichtig die Pforte auf. Sofort hüllte der Lärm des Kettellmarktes sie ein. Wenn sie durch den Spalt spähten, konnten sie einen Blick auf das Gedränge jenseits des Bogenganges werfen. Stimmen riefen durcheinander, dann klangen die Vierschläge der Marktglocke dazwischen und entlockten Noren ein zufriedenes Grinsen. Rechtzeitig! Jeden Augenblick musste der Tumult im Inneren Hof losbrechen. Er ließ den schlaffen Körper von seinen Schultern gleiten. Den Jarhaal weiter auf diese Art zu tragen, würde auf dem Markt zu sehr auffallen. Wie zuvor knickten die Beine des Mannes ein, kaum dass sie sein Gewicht tragen mussten. Mit einem Zischen legte Noren sich den Arm des Jarhaal um die Schultern, um ihn aufrechtzuhalten, während Setten auf seiner anderen Seite ebenfalls wortlos zufasste. Etwas wie ein Stöhnen kam über die Lippen des Mannes, und für einen Augenblick hatte Noren den Eindruck, er versuche den Kopf zu heben, doch dann hing er erneut schwer zwischen ihnen. Noren verstärkte seinen Griff, um ihn falls nötig mit Gewalt ruhig halten zu können. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis das vereinbarte Zeichen erklang und sie möglichst rasch den im Mauerschatten liegenden Abschnitt des Hofes durchqueren mussten. Doch nichts geschah. Angespannt wechselten die Männer Blicke. Danen wies mit einem Kopfrucken auf die spaltbreit offene Pforte. Auf Norens Nicken verschwand er nach draußen.
Und dann brach der erwartete Tumult doch los. Aber es war nicht der Schrei » Feuer! « , der verkündet hätte, dass Jellen es geschafft hatte, sich in die Ställe zu schleichen, dort den Heuboden in Brand zu setzen und die Pferde aus ihren Ständen zu lassen, damit sie in ihrer Angst vor den Flammen mitten in das Markttreiben hineingaloppierten. Ein gellender Alarmruf hallte durch den Palast und einen Herzschlag später auch über den Hof. Männer der Garde hasteten über die Wehrgänge, Soldlinge drängten sich rücksichtslos zwischen den Händlern und ihren Ständen hindurch, unübersehbar auf der Suche nach
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