Seelenkuss
Seine Züge verzerrten sich wie vor Anstrengung und Qual, dann stöhnte er auf. » Ich weiß es nicht « , brach es aus ihm heraus. Er presste die Fäuste gegen die Schläfen. » Ich weiß es nicht! «
» Was?– Seht ihr denn nicht, dass der Mann schwachsinnig ist? «
» Dank Königin Selorans Grauen Kriegern. « Die Scherben des Bechers in den Händen trat Kajlan an den Tisch und beugte sich zu ihr. » Sie haben ihn gefoltert, Prinzessin. Nacht für Nacht.– Bis sein Verstand zerbrochen war. «
Darejan wusste nicht, was sie mehr erschreckte: Der Umstand, dass diese Leute wussten, wer sie war, oder der gefährlich sanfte Ton, in dem die andere sprach.
Kajlan legte die Bruchstücke beiseite, nahm den Verrückten beim Arm und schob ihn auf die hölzerne Bank auf der anderen Seite des Tisches. Widerstandslos fügte er sich ihrer Hand. Sein Blick war wieder leer und abwesend. Über der Brust war sein sandfarbenes Hemd mit groben Stichen der Länge nach geflickt.
» Das führt zu nichts, Kajlan. Dank Réfs Nachricht wissen wir, dass die Grauen die Stadt durchkämmen, und können unseren Gast fortbringen. « Der Mann mit dem Rossschweif zog sich einen Stuhl heran und ließ sich rittlings darauf nieder. » Mich beschäftigt eine ganz andere Frage: Was machen wir mit euch, Prinzessin? « Er sah Darejan mit mildem Interesse an.
Unwillkürlich schluckte sie. » Lasst mich gehen!– Und lasst mich ihn « , sie wies auf den Verrückten, der erneut die Arme um sich selbst geschlungen hatte: » mit zurück… «
» Nein! « So viel Grauen lag in diesem einen Wort, dass Darejan zurückzuckte. Die silberhellen Augen starrten sie an, ohne sie wirklich zu sehen. Der Verrückte war von seinem Platz aufgesprungen, ehe die anderen überhaupt begriffen hatten, was geschah. Als die beiden Männer ihn nun packten, um ihn zur Ruhe zu zwingen, wehrte er sich mit solch verzweifelter Kraft, dass sie Mühe hatten, ihn zu halten– bis ein wohlgezielter Faustschlag seinem Toben ein Ende setzte.
» Schaff ihn nach nebenan, Setten, und fessle ihm die Hände. «
» Noren… « Die Frau klang entsetzt, während sie beobachtete, wie der Fuchsgesichtige den Bewusstlosen in das Halbdunkel jenseits des Vorhangs schleppte.
Noren, der Mann mit dem Rossschweif, schüttelte knapp den Kopf und setzte sich wieder. » Nein, Kajlan.– Und ehe wir ihn aus Kahel fortschaffen, bekommt er eine Dosis Sadran, damit er ruhig ist und uns unterwegs nicht verrät. « Er wandte seine Aufmerksamkeit erneut Darejan zu. » Ihr wollt unseren Gast also mit euch nehmen, Prinzessin. « Nachlässig zog er den Weinkrug und einen Becher heran und goss sich ein. » Warum? «
» Um Réfen zu befreien! « Darum bemüht, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen, erwiderte sie seinen Blick. Der plötzliche Wechsel seiner Stimmung von zornig zu gelassen verunsicherte sie.
Eine seiner Brauen hob sich. » Wie wollt ihr das bewerkstelligen? «
» Vermutlich weiß Seloran über diesen Mann nur das, was die Grauen Krieger ihr berichtet haben. Wenn sie sieht, dass der vermeintliche Spion nur ein armer Verrückter ist, wird sie erkennen, dass alles ein bedauerlicher Irrtum war. Ich kenne meine Schwester… «
Das bittere Lachen Kajlans unterbrach sie. » Ihr seid einfältig, Prinzessin. Alles, was mit diesem Mann geschah, geschah auf Befehl eurer Schwester. Sie weiß, dass er kein Spion ist. Sie weiß auch, dass Réfen kein Verräter ist.– Und aus ebendiesem Grund wird sie Réfen nicht gehen lassen. «
» Wie könnt ihr es wagen, meine Schwester… «
» Eure Schwester, Prinzessin, hat an eine dunkle, verbotene Macht gerührt. Was genau sie getan hat, weiß keiner von uns, geschweige denn warum. Réfen wurde klar, dass irgendetwas nicht stimmte, als er den armen Kerl da hinten zum ersten Mal sah. « Noren massierte sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken, ehe er sie ansah. » Die Anschuldigung, er sei ein Spion der Nordreiche, ist vollkommen aus der Luft gegriffen, auch wenn er zu einem der Nordvölker gehört. Der Mann ist ein KâlTeiréen, mehr noch, er ist ein Krieger der DúnAnór, der mit ziemlicher Sicherheit geschickt wurde, um eurer Schwester in ihrem Tun Einhalt zu gebieten. Wie sie von ihm erfahren hat, wissen wir nicht. Vermutlich wurde er von jemandem verraten. Es war Réfens Idee, ihn aus dem Kerker zu befreien, da er offenbar der Einzige ist, der wirklich weiß, was auf dem Spiel steht. «
» Das ist eine Lüge! «
Norens Faust krachte mit solcher Wucht
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