Seelenkuss
und schlich dann zu der Tür hin. Nicht das leiseste Geräusch war durch das dunkle Holz zu hören, obwohl sie sich dicht davor kauerte und angestrengt lauschte. Mit einem lautlosen Fluch stand sie nach einem Augenblick wieder auf. Sie war dem Jungen nicht bis hierher gefolgt, um dann unverrichteter Dinge wieder zu gehen. Darejan trat einen Schritt zurück, blickte an der dunklen Front entlang. Vielleicht gab es irgendwo ein Fenster.
» Was haben wir denn hier? « Die Stimme erklang direkt neben ihr. Noch ehe sie begriff, was geschah, presste sich eine Hand über ihren Mund. Eine andere legte sich um ihr Gelenk, als sie nach ihrem Dolch greifen wollte. Die Waffe klirrte zu Boden. Dann wurde ihr Arm herumgerissen und nach hinten verdreht, dass sie mit einem erstickten Schrei in die Knie ging. Im nächsten Moment verschwand die Hand von ihren Lippen. Sie wurde hochgezerrt und mit solcher Wucht gegen die Holzwand gestoßen, dass sie für einen Augenblick nur noch verwischte Schatten sah. Abermals wurde sie auf die Füße gestellt, taumelte im Griff ihres Angreifers vorwärts. Helligkeit lohte vor ihr auf. Ungeachtet ihrer benommenen Gegenwehr wurde sie hineingeschleift. Der Holzboden schlug ihr hart entgegen, dann schloss sich hinter ihr dumpf eine Tür.
Einen Moment lang war Schweigen um sie herum, dann erklang ein Klatschen, gefolgt von der Stimme einer Frau, die » Mern, du Trottel! « fauchte. Eine Hand schloss sich um ihren Nacken und zerrte sie in die Höhe, bis sie noch immer ein wenig wankend aufrecht stand. Blinzelnd starrte sie ins Kerzenlicht. Ihr Blick klärte sich nur allmählich. Sie erkannte den Jungen, der sichtlich entsetzt zu ihr her sah, direkt neben ihm eine Frau mit dunkelbraunem langem Haar, in deren grünen irisierenden Augen unübersehbar Ärger funkelte. Sieben oder acht Männer saßen um den langen Tisch herum, die sich alle zu ihr umgedreht hatten. Jeder von ihnen hatte das dunkle Haar und die perlmuthelle Hautfarbe der Korun und war in die schlichten Hosen und Hemden von Fischern gekleidet. Nur einer, ein junger Mann mit kupfern schimmerndem Haar, trug eine abgeschabte Seidenrobe. Tonkrüge und mehrere Becher standen auf der gescheuerten Tischplatte. Der Geruch von Eintopf hing in der Luft. Rechts von ihr teilte ein schwerer, halb zur Seite gezogener Vorhang den niedrigen Raum. Der schlanke, hochgewachsene Mann, der eben aus den nur schwach erleuchteten Schatten dahinter trat, musterte sie mit einem ähnlichen Blick wie die Frau. Ebenso wie sie war er in ein weit fallendes Hemd aus Adeshwolle gekleidet, das in einer eng sitzenden Hose aus dunklem Leder verschwand. Um seine Mitte lag ein breiter Gürtel, unter dem ein langer, leicht gebogener Leydolch steckte. Eine dunkle Strähne hatte sich aus dem Rossschweif gelöst, zu dem seine dichte Mähne im Nacken zusammengefasst war. Wie sie in seine Stirn hing, verlieh seinen Zügen beinah etwas Jungenhaftes. » Was bringst du uns da, Gerden? «
Darejan straffte sich und strich sich das Haar aus dem Gesicht. » Ich bin… «
» Mörderin! « Der Schrei ließ sie zu dem Halbdunkel jenseits des Vorhangs herumfahren. Für den Bruchteil eines Herzschlags blickte sie in silberhelle Augen, dann schlossen sich Hände um ihre Kehle und drückten in tödlicher Absicht zu. Verzweifelt rang sie nach Luft, zerrte an den Handgelenken des Mannes, spürte kaltes Eisen. Stühle polterten zu Boden. Stimmen gellten durcheinander. Ihre Knie gaben unter ihr nach, der Raum wurde seltsam unscharf. Über ihr fletschte der Mann in einem bösen Fauchen die Zähne, heulte, als Hände sich über seine legten, seinen Griff brachen und ihn von seinem Opfer fortzerrten.
Mehrere unendliche Momente konnte Darejan nichts anderes tun, als hustend nach Atem zu ringen, die Hand an ihrer misshandelten Kehle. Als sie endlich den Kopf hob, begegnete sie wieder jenen silbernen Augen. Schmal vor Hass starrten sie zu ihr her, während vier der Männer ihn gegen die Wand gepresst hielten. Er keuchte, als sei er derjenige gewesen, den man eben versucht hatte zu erwürgen. Im Kerzenlicht glitzerten die Edelsteintätowierungen an seiner Stirn, und Darejan begriff, dass er der Spion aus den Nordreichen war. Und dann, von einem Wimpernschlag auf den anderen, war es vorbei. Die hellen Augen wurden stumpf und leer. Er erschlaffte in den Händen der Männer. Als sie ihn nach einem letzten Zögern losließen, sackte er an der Wand entlang auf die gescheuerten Dielen.
Jemand zog Darejan auf die
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