Seelenkuss
Schweigen eines Spuks fielen sie über das Dorf und seine Bewohner her. Der Mond hatte seinen Zenit noch nicht erreicht, als sie wieder verschwanden. Sie ließen nur brennende Hütten und Wehklagen zurück.
25
K ühl strich der Wind über ihre Schultern, zupfte an ihrem Haar. Sie schmiegte sich enger an die Brust, die ihr als Kissen diente. Auf der zu dunklem Gold gebräunten Haut waren die Wasserdiamanten getrocknet, aber der Geschmack von Salz war immer noch auf ihr. Mit der Hand wischte sie ein wenig silbrigweißen Sand fort, der unter ihrer Wange kratzte, und kuschelte sich enger an. Still lauschte sie auf den ruhigen, kraftvollen Herzschlag, der sich mit dem Donnern mischte, mit dem sich das Meer an den Kalkfelsen brach, die ein kurzes Stück zu ihrer Linken in den Feuer und Schatten gefärbten Himmel aufragten. Weit draußen verwandelte die untergehende Sonne das Wasser in einen Spiegel aus flammendem Gold. Über ihr kehrten Kehlmöwen kreischend zu ihren Nestern in dem rissigen Felsen zurück, um es sich für die Nacht bequem zu machen. » Ich muss gehen « , murmelte sie schläfrig, ohne sich weiter zu bewegen. Sie mochte die friedliche Geborgenheit noch nicht aufgeben. Ein sandiger Arm legte sich um ihre Schultern, zog sie besitzergreifend näher. » Es ist noch Zeit. Lass sie die Tore ruhig schließen. Du weißt, dass es kein Problem ist, dich auch danach in die Stadt zurückzubringen. « Ein Ruck schreckte Darejan auf. In ihrem Kopf pochte jener vage Schmerz. Sie blinzelte, es gelang ihr kaum, in die Wirklichkeit zurückzufinden– der Traum war verloren–, doch als sie verwirrt den Kopf zu heben versuchte, drückte das Kinn des Verrückten auf ihren Scheitel. Sein gehauchtes » Nicht bewegen! « ließ sie erstarren und endgültig zu sich kommen. Die Muskeln unter ihrer Wange waren zum Zerreißen gespannt, er atmete flach und abgehackt. Sie konnte spüren, wie er sich ein kleines Stück vornüberbeugte, sein Körper spannte sich noch mehr, ein neuerlicher Ruck und er stieß langsam die angehaltene Luft aus. Einen Augenblick später berührte etwas ihren Rücken. Um ein Haar hätte sie vor Schreck aufgeschrien, hätte eine Hand sich nicht im gleichen Moment über ihren Mund gelegt. » Still, Hexe! « Wieder waren die Worte nur ein Wispern. Schlagartig wurde ihr klar, was das alles bedeutete, und sie versuchte ihm mit einem Nicken zu sagen, dass sie verstanden hatte. Er zögerte merklich, doch dann verschwand die Hand wieder. Etwas zupfte an ihren Handgelenken. Die Riemen lockerten sich, fielen ab. Mit schmerzhaftem Kribbeln floss das Blut in ihre Finger zurück. Sie biss die Zähne zusammen. » Den Rest musst du selbst tun, Hexe! « Ganz vorsichtig wagte Darejan es, den Kopf zu drehen. Seine ganze Aufmerksamkeit galt den Männern beim Feuer. Sie zog die Beine ein Stück an. Selbst das leise Schleifen von Stoff auf Stoff erschien ihr unerträglich laut. Ihre Finger fanden den Strick, der ihre Knöchel zusammenschnürte, tasteten nach dem Knoten. Endlich gab er nach. Sie schüttelte ihre Fessel ab, bereit, aufzuspringen und loszurennen. Doch sie wurde niedergehalten.
» Langsam! Ganz langsam!– Und kein Geräusch! « Der Verrückte sprach, ohne die Augen von ihren Häschern zu wenden. Erneut legte seine Hand sich gegen ihren Rücken. Vorsichtig schob er sich an dem Baum empor, zog sie mit sich. Darejan hielt sich an seinen Schultern fest, um nicht zu fallen. Endlich standen sie aufrecht, verharrten in angespannter Reglosigkeit. Die Männer am Feuer rührten sich nicht. Sogar der, der offenbar Wache halten sollte, schlief.
» Komm, Hexe! Und pass auf mit den Ästen. « Noch immer gönnte er ihr keinen Blick. Seine Hand glitt an ihrem Arm abwärts, schloss sich um ihre. Schritt für Schritt wich er zwischen die Bäume zurück. Erst als die Dunkelheit sie vollkommen verschluckt hatte, drehte er sich um und ging schneller, ohne sie loszulassen. Er begann zu rennen, als der Lichtschein nicht mehr zu sehen war.
Sie prallte hart gegen seinen Rücken, als er jählings stehen blieb. Ein Schatten bewegte sich vor ihnen. Darejan merkte, wie der Verrückte sich duckte, dann trat die Gestalt aus der Schwärze in einen Fleck aus Mondlicht und Edelsteintätowierungen blitzten auf. Erschrocken hielt sie die Luft an. Der Jarhaal! Es brauchte nur einen Ruf…
» Ich hätte euch beinah nicht gefunden. « Seine Stimme klang atemlos. » Wenn ihr euch nur ein klein wenig länger geduldet hättet, wäre das nicht nötig
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