Seelenkuss
Misstrauen, doch diesmal war da noch etwas anderes; etwas, das Darejan nicht deuten konnte. Schließlich lehnte er sich gegen den Felsen in seinem Rücken, ließ den Kopf zur Seite sinken und nahm die Hand von der Brust.
Behutsam schob Darejan sein Hemd in die Höhe. Wie sie befürchtet hatte: Der Schnitt war– obwohl er sich geschlossen hatte– feurig rot geschwollen. Schweiß glänzte fahl auf seiner Haut. Sie musterte seine angespannten Züge. Was auch immer Nakeen mit ihnen vorhatte: Im Augenblick hatten sie keine andere Wahl, als darauf zu vertrauen, dass er ihnen tatsächlich helfen wollte.
» Ich werde sehen, ob ich in der Nähe ein paar Kräuter finde, die dir helfen. «
Seine Hand schoss im gleichen Moment vor, als sie aufstehen wollte. Obwohl sein Arm vor Anstrengung zitterte, hatten seine Finger sich wie eine Eisenfessel um ihr Handgelenk gelegt. Einen Herzschlag lang rang Darejan um ihr Gleichgewicht. Fast hätte sie sich auf seiner Brust abgestützt, um nicht zu fallen.
» Warum, Hexe? « , wollte er wissen.
» Warum?– Weil es nicht mehr lange dauert, bis sich der Brand in deiner Wunde festgesetzt… «
Der Ausdruck in seinen Dämonenaugen ließ sie verstummen. Ganz langsam schüttelte er den Kopf, sein Daumen strich verwirrend sanft über die Innenseite ihres Handgelenks. Gebannt verfolgte sie seine Bewegung.
» Das in der Gasse warst du, Hexe. « Sein Ton verriet nichts.
Darejan riss ihren Blick von seinem Daumen los und sah ihn an. » Ich weiß nicht… «
» Einer von ihnen hatte mich. Er war hinter mir. Ich hatte ihn zu spät gesehen. « Er sprach, als habe er ihren Einwand nicht gehört, schüttelte erneut leicht den Kopf, während er an ihr vorbei ins Leere starrte. » Selbst wenn er die Klinge noch gedreht hätte… « Wieder ein Kopfschütteln. Er leckte sich über die Lippen. » Plötzlich jault er, als hätte er sich an glühendem Stahl verbrannt, und wirft sein Schwert fort. « Unvermittelt bohrte sein Blick sich in ihren. » Du warst das, Hexe!– Warum? «
» Weil du der Einzige bist, der mir helfen kann, Réfen und meine Schwester zu retten. « Irgendwie schaffte sie es, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. » Nur du weißt, wie man zur Ordensburg der DúnAnór gelangt. «
Auf seiner Stirn erschienen scharfe Falten. Ein Schweißtropfen rann ihm über die Schläfe, verfing sich in einer Haarsträhne, die an seiner Wange klebte. Darejan hielt den Atem an, als sie das inzwischen so vertraute Flackern in den silbernen Tiefen seiner Augen gewahrte. Unvermittelt gab er ihr Handgelenk frei und schloss die Lider, als sei er mit einem Mal zu müde, um sie weiter anzusehen. Schlaff fiel seine Hand in seinen Schoß.
Einen Moment verharrte Darejan noch schweigend neben ihm, doch dann stand sie auf und machte sich wie schon einmal auf die Suche nach Travankraut und Blauflechte.
26
D iesmal musste sie um einiges länger suchen, bis sie die Kräuter gefunden hatte. Die Ausbeute, mit der sie in die Senke zurückkehrte, konnte man nur mager nennen.
Die CayAdesh-Stute hatte sich auf einem Lager aus zusammengescharrten Blättern niedergelassen, die Beine unter ihren runden Leib geschlagen und sah ihr schnaubend entgegen, als sie den Hang herabkam. Der Verrückte lag zusammengerollt am Fuß der Felsen. Während ihrer Abwesenheit musste er in einen fiebrigen Dämmerschlaf gesunken sein, aus dem ihm das Erwachen sichtlich schwerfiel. Doch schließlich schien er Darejan zu erkennen, sodass er sich nicht länger mühte, sich in die Höhe zu stemmen. Stattdessen ließ er den Kopf auf die Blätter zurücksinken und lag wieder still. Das leise Seufzen, das sich in seine schweren Atemzüge mischte, klang wie eine Kapitulation.
Vorsichtig drehte Darejan ihn weiter auf den Rücken und schob sein Hemd in die Höhe. Wäre es möglich gewesen, hätte sie schwören mögen, dass die Wunde in noch tieferem Rot glühte und um einiges stärker geschwollen war als zuvor. Sie riss ein Stück von ihrem Kleid ab, wusch den Fetzen in der Quelle, bis er weitestgehend sauber war, und wrang ihn aus. Die Zähne fest zusammengebissen, kniete sie sich dann wieder neben ihn und strich mit dem Daumen unter der flachen Hand fest die Wunde entlang abwärts. Mit einem gellenden Schrei bäumte er sich auf. Seine Hände kamen hoch, wie um nach ihr zu schlagen, krallten sich stattdessen jedoch in den Boden. Hinter sich konnte sie die CayAdesh-Stute wiehern hören. Doch dann endete der Schrei abrupt und er fiel besinnungslos
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