Seelenkuss
Händen, sondern zudem die Kräuter, die sie auf dem Stein hatte liegenlassen. Sie beobachtete ihn weiter misstrauisch, während er sich auf der anderen Seite des Feuers niederließ.
» Du hast die Travankrautblätter und Blauflechtenstängel gesucht, während ich fort war? « Er reichte ihr beides, noch immer ohne sie anzusehen.
» Ja. Sie haben schon zuvor geholfen, wenn es ihm so schlecht ging. « Mit erzwungenem Gleichmut nahm sie ihm die Kräuter über die immer gieriger über die Äste leckenden Flammen hinweg aus der Hand. » Hast du außer etwas zu essen auch einen Becher oder eine Schale mitgebracht? Dann könnte ich ihm Blauflechtentee gegen das Fieber kochen. «
Nickend erhob Nakeen sich, holte die Beutel ans Feuer und suchte darin herum. Verblüfft verfolgte Darejan, wie nicht nur ein Becher und eine hölzerne Schale zum Vorschein kamen, sondern obendrein auch ein kleiner Kessel und ein langstieliger Schöpflöffel. Beinah hätte sie ihn gefragt, woher er alles hatte. Sie schluckte die Frage unter, als er ihr Schale und Becher reichte, aufstand, zu der Quelle hinüberging, wo er den Kessel mit Wasser füllte und ihr sich dann erneut schweigend gegenübersetzte, nachdem er ihn über das Feuer gestellt hatte. Noch immer wortlos verfolgte er, wie sie die Travankrautblätter in die Schale hineinlegte und sie dann dicht neben die Flammen stellte. In seinem Schweigen lag eine seltsame Trauer.
Er brach es erst, als wenig später das Wasser im Kessel zu brodeln begann und Darejan vorsichtig etwas davon in den hölzernen Becher goss, in den sie bereits einige Blauflechtenstängel gegeben hatte.
» Ich habe noch nie gehört, dass es einer überlebt hätte. « Verwirrend leise sprach er in das Knistern der Flammen hinein.
Die Brauen zusammengezogen sah Darejan ihn an. » Auch wenn der Schnitt tief und entzündet ist, bedeutet das noch nicht… «
» Du hast tatsächlich keine Ahnung, was, Weib? « , unterbrach er sie mit einem bitteren Schnauben. » Ich meine nicht die Wunde. Auch wenn sie es möglicherweise beschleunigt. « Er blickte zu dem Verrückten hin, der noch immer reglos im Schutz der Felsen lag. » Ein KâlTeiréen überlebt den Tod seines Seelengefährten gewöhnlich nicht. «
Erschrocken starrte sie ihn an. » Heißt das… «
Seine grüngoldenen Augen kehrten zu ihr zurück. » Ja. « Er klaubte einige Lassrenknollen aus einem der Beutel und warf sie ihr zu. » Zieh die Schalfäden ab. «
» Aber… Weshalb…? « Darejans Finger bewegten sich wie von selbst, während sie gehorsam die Nägel unter die faserige Haut der Knollen schob und sie Stück für Stück löste. Sofort machte gelber Saft ihre Finger klebrig und ein scharfwürziger Geruch stieg ihr in die Nase. Nakeen hatte sich eine Handvoll Drajomwurzeln gegriffen, um sie mit seinem Dolch sauber zu schaben. Ihre Frage ließ ihn innehalten und aufschauen.
» Weshalb?– Auch wenn du es vielleicht nicht begreifen kannst, Korun: Die KâlTeiréen sind eins mit ihren Seelengefährten. Zwei Wesen, zwei Willen, zwei Herzen, zwei Seelen– die einander so nah sind als wären sie eins. Schmerz, Trauer, Freude– sie teilen alles. Jeder kennt die Gedanken des anderen, weiß um sein Innerstes. « Einen Moment beobachtete er die Flammen, ehe er weitersprach. » Und jetzt stell dir vor, wie es sich anfühlen muss, wenn dieses Band zerbrochen wird. Wahrscheinlich ist es, als würde dir dein Innerstes entzweigerissen.– Aber dieser Schmerz ist vermutlich nichts im Vergleich mit der Leere, die der Tod einer der beiden Seelen in der anderen zurücklassen muss, und dem Gefühl, dass ein Teil des eigenen Selbst, der eigenen Seele gestorben ist. « Seine Augen glitten erneut zu dem Verrückten. » Sie sind wie zwei Seiten einer Münze.– Die eine gibt es ohne die andere nicht. « Er wandte sich wieder den Wurzeln zu. Mit leisem Schrappschrappschrapp fuhr seine Klinge über die rötlichbraune Haut.
» Wie schnell… wie lange leben sie noch, bis sie beschließen, dass sie sterben wollen? « , fragte Darejan und zupfte weiter an den Schalfäden der Lassrenknolle in ihrer Hand.
» Sie beschließen nicht, dass sie sterben wollen.– Sie entscheiden, dass sie nicht mehr leben wollen. « Darejan schnaubte ob dieser Haarspalterei, verbiss sich jedoch die Bemerkung, die sie schon auf der Zunge hatte, und ließ den Jarhaal weitersprechen. » Wie schnell sie ihrem Seelengefährten über die TellElâhr folgen, kann niemand genau sagen. Meist verlassen sie
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