Seelenkuss
ganze Zeit hörte sie nur ihre eigenen zitternden Atemzüge. Das Schweigen war beinah unerträglich geworden, als Nakeen endlich wieder sprach.
» Er ist also tatsächlich tot? « Seine Stimme klang dumpf.
» Ja. « Schluchzend rang sie nach Luft. Ein klaffender Schnitt. Blut, das graues Gefieder dunkel färbte. So viel Blut.
Der Schmerz an ihrem Hals wurde beißender, als er den Druck erneut verstärkte. » Wenn du es nicht warst, woher weißt du es dann? «
Darejan glaubte, eine warme Linie ihre Kehle hinabrinnen zu fühlen. » Sie haben es mir gesagt! « Die Lüge kam ohne Zögern über ihre Lippen. Er würde ihr niemals glauben, wenn sie sagte, dass sie es einfach wusste, ohne auch nur zu ahnen woher.
» Wer › sie ‹ ? «
» Die Leute, die ihn « , nur mit den Augen wies sie auf den Verrückten, » aus dem Kerker befreit haben. « Bitterer Speichel hatte sich in ihrem Mund gesammelt. Sie schluckte ihn unter. Die Bewegung schien die Klingenspitze noch tiefer in ihre Haut zu zwingen. Abermals musterte Nakeen sie eine schiere Ewigkeit schweigend. Dann senkte er zu ihrer Verblüffung den Dolch und ließ sie nach einem weiteren Moment sogar los. Hastig brachte Darejan sich aus seiner Reichweite, presste die Hand an ihre Kehle. Als sie sie fortnahm, klebte tatsächlich Blut daran. Für einige Herzschläge starrte sie auf ihre rot verschmierten Finger, ehe sie den Jarhaal ansah. » Heißt das, du glaubst mir? «
» Nein, das heißt es nicht. Aber bevor ich darüber entscheide, will ich die ganze Geschichte hören.– Und dazu ist später noch Zeit. « Er schob den Dolch in die Scheide an seinem Gürtel, wandte sich Zaree zu und zog die Beutel und Decken vom Rücken des Hengstes, nur um dann wortlos zur Quelle zu stapfen. Dort ließ er seine Last in die Blätter fallen und ging neben dem Verrückten in die Knie. Darejan sah, wie seine Augen über die Travankrautblätter und Blauflechtenstängel glitten, die sie auf einen flachen Stein gelegt hatte, ehe er sich über den anderen beugte und sein Hemd anhob, um sich die Wunde anzusehen.
Stumm beobachtete sie ihn aus sicherer Entfernung, tat aber dennoch einen Schritt rückwärts, als er ihr einen unwilligen Blick über die Schulter zu warf.
» Steh nicht da und gaff. Bring mir den Wasserschlauch und die Decken! « , fuhr er sie an und drehte sich wieder um.
Darejan bedachte seinen Rücken mit einem wütenden Blick, wühlte dann aber in den Beuteln, bis sie den Lederschlauch gefunden hatte, und brachte ihm das Verlangte. Mit einem Knurren nahm er ihr die Decken ab und hüllte den Verrückten erstaunlich behutsam darin ein. Schließlich riss er ihr unwirsch den Wasserschlauch aus der Hand, beugte sich über den anderen und versuchte ihn unter beruhigendem und zugleich ermunterndem Murmeln zumindest soweit aus seiner Bewusstlosigkeit zu wecken, um ihm ein wenig Wasser einflößen zu können. Erfolglos. Nach einiger Zeit hielt er in seinen Bemühungen inne und drehte sich halb zu ihr um.
» Er braucht etwas Anständiges zu essen, bevor wir aufbrechen. In den Beuteln findest du Fleisch, Brot und ein wenig Gemüse. Mach dich nützlich, Korun « , wies er sie an.
Darejan biss für einen Moment die Zähne zusammen. » Ich kann nicht kochen « , erklärte sie ihm dann, was ihr einen verblüfften Blick einbrachte.
» Dann mach Feuer. Oder nein, besser doch nicht! Wahrscheinlich lässt du den ganzen Wald in Flammen aufgehen und führst Sorgral und seine Kumpane direkt zu uns. « Sein Blick glitt am Fuß der Felsen entlang. Mit einem Nicken wies er schließlich auf eine Kuhle. » Da drüben! Scharr das Laub beiseite, such ein paar größere Steine und leg sie außen herum. Um alles andere kümmere ich mich. « Damit zog er die Decke noch einmal fester um die Schultern des Verrückten, stand auf und ging zu der Seite der Senke hinüber, an der die Narlbirken in ihrem undurchdringlichen Dickicht in die Höhe strebten. Darejan tat, was er befohlen hatte, und schaute ihm angespannt entgegen, als er dann mit einem Arm voller trockener Zweige und Äste zurückkam. Doch er schenkte ihr keinerlei Beachtung. Wenig später knisterte ein kleines Feuer in der Kuhle, das kaum groß genug gewesen wäre, um sich die Hände daran zu wärmen. Nakeen hatte sich abermals neben den Verrückten gekniet und bemühte sich einmal mehr, ihm Wasser einzuflößen, aber auch dieses Mal blieb sein Versuch fruchtlos. Als er zu Darejan zurückkehrte, hielt er nicht nur den Wasserschlauch in den
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